Sonntag, 19. April 2009
Pausenlektüre
Mit achtzehn hatte ich keine rechte Vorstellung davon, was ein Musikdramaturg eigentlich tut. Ich wußte wohl, daß Opernhäuser (wie auch Theater) meist einen Dramaturgen beschäftigen – das stand schließlich im Programmheft – aber die Abgrenzung zum Regisseur wäre mir schwergefallen. Daß diesem Mangel irgendwann abgeholfen wurde, verdanke ich meiner ehemals besten Freundin V., die inzwischen Dramaturgin an einem kleinen Opernhaus ist. Die Freundschaft gibt es nicht mehr, nach fünfzehn Jahren Zusammenhalt, über alle Stürme und Kämpfe hinweg, räumliche Distanz, diverse Beziehungen auf beiden Seiten und auseinanderdriftende Lebenswege fiel diese Zitadelle der Beständigkeit vor gut einem Jahr in sich zusammen wie eine Sandburg. Ganz ohne Kampf und letzte Zuckungen; trotzdem vergeht kein Tag, an dem sie mir nicht fehlt. Was bleibt sind viele wunderbare Erinnerungen und das Wissen, was ein Dramaturg eigentlich tut.

Je nach Größe des Opernhauses ist er Mädchen für alles und besonders für musikwissenschaftliche Belange bei der Unterstützung des unmöglichen Kunstwerks verantwortlich. Konzeption des Spielplans, Einrichtung von Werken, Programmhefte und sonstige Publikationen – in allem hat der Dramaturg seine Finger drin. V. an ihrem kleinen Provinztheater verbringt außerdem regelmäßig ihre Wochenenden morgens in der Oper, um gegebenenfalls Ersatz für kranke Sänger für abendliche Vorstellungen zu finden und übernimmt vereinzelt die Abendspielleitung. Ich stelle mir vor, daß das ein schöner Beruf ist – und jedenfalls geht V. darin auf. Leider in einem Maße, daß für überkommene Freundschaften in ihrem Leben kein Platz mehr war.

In Amerika scheint das Berufsbild jedoch ein anderes zu sein, denn ein Programmheft, das diesen Namen verdienen würde, gibt es hier nicht. In Deutschland finde ich neben einem Abriß der Handlung vielleicht Interviews mit dem Regisseur, Dirigenten oder Ensemblemitgliedern, Auszüge aus der literarischen Vorlage und erläuternde Texte von Wissenschaftlern. Hier nicht. Es gibt eine Besetzungsliste, eine Inhaltsangabe, in Konzerten noch die Vita der Künstler. Und dann: endlose Listen von Sponsoren. Sämtliche Beiräte, Aufsichtsräte, Vorstandsräte und Beratungsräte, Fördervereine, Einzelgeldgeber, Stiftungen werden aufgelistet. An der Met gibt es ein „Council for artistic excellence“, „Production Funders“, „125th Anniversary Fund“, „Golden Horseshoe Donors“, „Support the Broadcast Campaign“, sowie sieben (!) weitere (!) Arten von Sponsorengruppen. In vielen Kategorien werden die großzügigen Spender nach Spendenhöhe gestaffelt mit Namen genannt: “Mr. And Mrs. Butler J. Peterson Jr.“*. Wir reden hier natürlich nur über fünf- bis siebenstellige Beträge. Man möge mich nicht falsch verstehen: privates Engagement ist großartig, lobenswert und verdient öffentliche Anerkennung, meinethalben auch schwarz-weiß im Programmheft, damit es jeder mitbekommt. Aber müssen alle anderen möglichen Inhalte diesem Bildungsprotz-Theater zum Opfer fallen? Ich lese gerne über die Werksgeschichte und Interpretation in Texten, die ich selbst nicht gefunden hätte, lasse mir die Absichten und Einfälle von Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner erklären (sofern es sich denn um Einfälle handelt) und bilde mich in der Pause weiter. Ganz besonders wenn ich alleine gehe, ist die Lektüre außerdem ein willkommener Pausenfüller. Immerhin: das amerikanische Werbe-Programmheftchen ist umsonst. Kein Inhalt kostet nichts.

*Der Name ist natürlich erfunden.

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