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New York
damenwahl | 13. April 09 | Topic 'Washington'
Zwei Tage in New York gewesen und das erste, was mich daheim erwartet: Gospelmusik, bis um ein Uhr nachts. Das ist doch wirklich nicht normal. Ich habe den Verdacht, daß die Gläubigen nebenan vielleicht den Herrn Jesus Christus mittels maximaler Lärmentwikcklung ein weiteres Mal von den Toten auferstehen lassen wollen. Amerikaner sind ja bekanntlich ein bißchen naiv und in Geschichte jenseits der eigenen Geographie wenig bewandert, vielleicht ist ihnen die Fruchtlosigkeit ihrer Bemühungen einfach nicht bewußt.
New York war fein, und bietet reichlich Anlaß zu Reflektionen über Land und Leute, wie auch einige spaßige Erlebnisse. Meine Freundin L. und ich kamen am Samstag in strömendem Regen an, bewaffnet mit nur einem Mini-Schirm und hatten die klimatischen Unterschiede die Ostküste hinauf klar unterschätzt. Auf gut deutsch: wir froren bitterlich und ähnelten mit jeder Minute mehr verfrorenen und abgesoffenen Ratten. Mit leeren Bäuchen retteten wir uns vor dem Regen ins nächste Restaurant und machten erste Bekanntschaft mit den inflationären Preisen der Metropole - keine Ahnung, warum sich Volkswirte Sorgen um Deflation machen, 18 USD für ein Sandwich (Beilage: ein mikroskopisch kleines Töpfchen Coleslaw) waren der Stimmung nicht gerade zuträglich. Den Versuch, Zeit bei Macy's abzusitzen, brachen wir nach etlichen Nahkämpfen mit Touristen inmitten opulenter Blumendekoration, die ganz offenbar von der Mehrheit der Besucher als wesentliche Attraktion betrachtet wurde, ab und retteten uns zu Starbucks. Ich bin ja grundsätzlich kein Anhänger der hier omnipräsenten sugar-free-low-fat Kultur für Lebensmittel, aber die neueste New Yorker Richtlinie (verbindlich für Ketten ab einer bestimmten Filialzahl), Kalorienangaben in die Speisekarte aufzunehmen, ist nicht schön, wirklich nicht. Wir haben dann doch beide Skinny Vanilla Latte genommen.
Gegen vier trafen wir bei unseren Gastgebern, Kollegen meiner Freundin, ein. Wirklich schöne Wohnung mit komfortablem Gästezimmer in Harlem, knapp oberhalb des Central Park. Da wir eine Opernkarte zuviel im Gepäck hatten, machten wir uns frühzeitig wieder auf den Weg zurück nach Downtown in die Oper, angemessen aufgebrezelt und voller Erwartungsfreude. Nun fährt die U-Bahn zwar durch bis Lincoln Center, allerdings ist 'durchfahren' in diesem Fall durchaus wörtlich zu nehmen: ab Höhe Central Bank fahren zwei von drei Linien nonstop bis zum Times Square - wie wir dann merkten, als wir die Zielstation ohne Halt passierten. Aus Schaden wird man klug, so sagt man, wir aber nicht, und machten den Fehler gleich ein weiteres Mal - fanden uns also nach dreißig Minuten wieder auf Höhe Central Park wieder. Im dritten Anlauf waren wir außerdem an der falschen Station ausgestiegen und mußten einmal raus, oberirdisch über die Straße stöckeln und erneut bezahlen. Immerhin hatte der Himmel ein Einsehen mit unserer prekären Schuhsituation und den sintflutartigen Regen eingestellt (andernfalls wäre das Wasser zu L.s Schuhen vorne hineingelaufen - Peep Toe - und in meine vermutlich hineingeschwappt und hätte sich dort in Teichen gestaut). Blieb noch genug Zeit für einen Happen zum Abendessen, bevor wir mit der Extra-Karte auf der Treppe Stellung bezogen, zwischen einem ältlichen Ehepaar, das strategisch rechts und links positioniert war und etlichen Herren, die offenbar gewerbsmäßen Schwarzmarkthandel betrieben. Ich bin mir meiner katastrophalen Uneignung für jede Vertriebstätigkeit völlig bewußt und die liebe L. stand mir in nichts nach, dennoch fand sich eine junge Frau, die uns die Karte für die Hälfte (!) des ursprünglichen Preises abkaufte. Angesichts unser Talentfreiheit für solche Unterfangen betrachteten wir das als Erfolg.
Leider wurde ich von der Met um das eigentliche Objekt meiner Sehnsucht, den Startenor, betrogen - nicht ganz unerwartet zwar, aber dennoch enttäuschend. Sich über die Qualität des Ersatzes zu beklagen, hieße allerdings auf hohem Niveau zu jammern, insgesamt ist die Met natürlich ein Erlebnis und bietet Kunst auf sehrsehr hohem Niveau. Besonders begeistert war ich vom Bühennbild: passend für die Oper "L'elisir d'amore" komplett in Zuckerbäcker-Pastellfarben gehalten. Einfache Holzstellwände waren durchgängig in gelb und rose mit Einwürfen von türkis und lila gestrichen. Herrlich artifiziell und überspitzt! Highlight war der Wagen des Dulcamara, Ton in Ton mit der restlichen Deko - ein monströses Gefährt. Wunderbar, wenn die Ausstattung die Musik und Botschaft unterstützt und die Balance findet zwischen Nachdenklichkeit und Musikverständnis, ohne dabei in sinnlose, egozentrische Provokation zu verfallen!
Wir hatten Plätze im fünften Rang ganz oben direkt über dem Orchestergraben, eingeschränkte Sicht, mäßige Akustik, aber immer noch meine liebsten Plätze, egal in welchem Haus ich sitze. Oper ohne Blick in den Orchestergraben ist für mich einfach nur der halbe Spaß - gemessen an meinen Maßstäben hatte ich also alles richtig gemacht. Besonders sympathisch fand ich die kleinen Pulte mit Lämpchen in der zweiten Reihe, das hätte ich mir vor einigen Jahren gewünscht, als ich regelmäßig mit Partitur gerüstet in die Oper ging. Völlig konsterniert war ich allerdings am Ende der Vorstellung: noch bevor die ersten Idioten zu klatschen anfangen konnten* fingen die Musiker schon an zu packen - bis der Dirigent seinen Applaus entgegennehmen konnte, war der Orchestergraben beklagenswert leer! Sehr sonderbar. Danach waren wir noch einen Absacker-Cocktail trinken - von dem Wunsch nach einem nächtlichen Dessert nahmen wir Abstand nach dem Blick auf die Karte. Während dort nämlich keine Getränkepreise verzeichnet waren (Damenkarte für zwei alleinreisende Damen?), waren die Kalorienangaben absolut unübersehbar - 1440 nachts um zwölf schien uns keine gute Idee zu sein angesichts des absehbaren Strandurlaubs im Mai (Aktion Sommerkörper, und so).
Der Sonntag begann mit einem fantastischen Osterbrunch bei unseren Gastgebern, ganz ohne Kalorienangaben für Rühreier, Bratkartoffeln, Käse und Lachs und Obstsalat und Schokoladenkuchen. Diese Gastfreundschaft wollten wir natürlich nicht mit Undank belohnen, und brachen erst gegen drei Uhr nachmittags auf. Während die gute L. sogar eine Einkaufsliste im Geiste mitgebracht hatte (Bikinishoppen, s.o.) und ich sie natürlich tatkräftig hätte unterstützten wollen, zeichnete sich doch ab, daß außer den üblichen internationalen Ketten die Läden selbst im nimmerkonsummüden NY am Sonntag geschlossen sein würden. Ins Museum zu gehen wäre bei dem traumhaften Wetter (kalt aber sonnig) wirklich Sünde gewesen, also endeten wir mit noch mehr Skinny Latte im Central Park auf der "Sheep Meadow".
Ich bin ja wahrhaftig kein ausgesprochener Freund von Großstädten und New York hat bei mir vor über zehn Jahren keinen großartigen ersten Eindruck hinterlassen. Häuserschluchten und stählerne Bordsteine machen mir Beklemmungen, multilpliziert mit Menschenmassen und potenziert durch schlechtes Wetter war ich auch im Laufe des ersten Tages wenig angetan, muß meine Meinung aber nach diesem wunderbar entspannten Sonntag revidieren: New York kann auch anders. Und ist dann eigentlich ganz nett.
*Wie ich Menschen hasse, die die Stille nicht als Bestandteil der Musik erkennen!
New York war fein, und bietet reichlich Anlaß zu Reflektionen über Land und Leute, wie auch einige spaßige Erlebnisse. Meine Freundin L. und ich kamen am Samstag in strömendem Regen an, bewaffnet mit nur einem Mini-Schirm und hatten die klimatischen Unterschiede die Ostküste hinauf klar unterschätzt. Auf gut deutsch: wir froren bitterlich und ähnelten mit jeder Minute mehr verfrorenen und abgesoffenen Ratten. Mit leeren Bäuchen retteten wir uns vor dem Regen ins nächste Restaurant und machten erste Bekanntschaft mit den inflationären Preisen der Metropole - keine Ahnung, warum sich Volkswirte Sorgen um Deflation machen, 18 USD für ein Sandwich (Beilage: ein mikroskopisch kleines Töpfchen Coleslaw) waren der Stimmung nicht gerade zuträglich. Den Versuch, Zeit bei Macy's abzusitzen, brachen wir nach etlichen Nahkämpfen mit Touristen inmitten opulenter Blumendekoration, die ganz offenbar von der Mehrheit der Besucher als wesentliche Attraktion betrachtet wurde, ab und retteten uns zu Starbucks. Ich bin ja grundsätzlich kein Anhänger der hier omnipräsenten sugar-free-low-fat Kultur für Lebensmittel, aber die neueste New Yorker Richtlinie (verbindlich für Ketten ab einer bestimmten Filialzahl), Kalorienangaben in die Speisekarte aufzunehmen, ist nicht schön, wirklich nicht. Wir haben dann doch beide Skinny Vanilla Latte genommen.
Gegen vier trafen wir bei unseren Gastgebern, Kollegen meiner Freundin, ein. Wirklich schöne Wohnung mit komfortablem Gästezimmer in Harlem, knapp oberhalb des Central Park. Da wir eine Opernkarte zuviel im Gepäck hatten, machten wir uns frühzeitig wieder auf den Weg zurück nach Downtown in die Oper, angemessen aufgebrezelt und voller Erwartungsfreude. Nun fährt die U-Bahn zwar durch bis Lincoln Center, allerdings ist 'durchfahren' in diesem Fall durchaus wörtlich zu nehmen: ab Höhe Central Bank fahren zwei von drei Linien nonstop bis zum Times Square - wie wir dann merkten, als wir die Zielstation ohne Halt passierten. Aus Schaden wird man klug, so sagt man, wir aber nicht, und machten den Fehler gleich ein weiteres Mal - fanden uns also nach dreißig Minuten wieder auf Höhe Central Park wieder. Im dritten Anlauf waren wir außerdem an der falschen Station ausgestiegen und mußten einmal raus, oberirdisch über die Straße stöckeln und erneut bezahlen. Immerhin hatte der Himmel ein Einsehen mit unserer prekären Schuhsituation und den sintflutartigen Regen eingestellt (andernfalls wäre das Wasser zu L.s Schuhen vorne hineingelaufen - Peep Toe - und in meine vermutlich hineingeschwappt und hätte sich dort in Teichen gestaut). Blieb noch genug Zeit für einen Happen zum Abendessen, bevor wir mit der Extra-Karte auf der Treppe Stellung bezogen, zwischen einem ältlichen Ehepaar, das strategisch rechts und links positioniert war und etlichen Herren, die offenbar gewerbsmäßen Schwarzmarkthandel betrieben. Ich bin mir meiner katastrophalen Uneignung für jede Vertriebstätigkeit völlig bewußt und die liebe L. stand mir in nichts nach, dennoch fand sich eine junge Frau, die uns die Karte für die Hälfte (!) des ursprünglichen Preises abkaufte. Angesichts unser Talentfreiheit für solche Unterfangen betrachteten wir das als Erfolg.
Leider wurde ich von der Met um das eigentliche Objekt meiner Sehnsucht, den Startenor, betrogen - nicht ganz unerwartet zwar, aber dennoch enttäuschend. Sich über die Qualität des Ersatzes zu beklagen, hieße allerdings auf hohem Niveau zu jammern, insgesamt ist die Met natürlich ein Erlebnis und bietet Kunst auf sehrsehr hohem Niveau. Besonders begeistert war ich vom Bühennbild: passend für die Oper "L'elisir d'amore" komplett in Zuckerbäcker-Pastellfarben gehalten. Einfache Holzstellwände waren durchgängig in gelb und rose mit Einwürfen von türkis und lila gestrichen. Herrlich artifiziell und überspitzt! Highlight war der Wagen des Dulcamara, Ton in Ton mit der restlichen Deko - ein monströses Gefährt. Wunderbar, wenn die Ausstattung die Musik und Botschaft unterstützt und die Balance findet zwischen Nachdenklichkeit und Musikverständnis, ohne dabei in sinnlose, egozentrische Provokation zu verfallen!
Wir hatten Plätze im fünften Rang ganz oben direkt über dem Orchestergraben, eingeschränkte Sicht, mäßige Akustik, aber immer noch meine liebsten Plätze, egal in welchem Haus ich sitze. Oper ohne Blick in den Orchestergraben ist für mich einfach nur der halbe Spaß - gemessen an meinen Maßstäben hatte ich also alles richtig gemacht. Besonders sympathisch fand ich die kleinen Pulte mit Lämpchen in der zweiten Reihe, das hätte ich mir vor einigen Jahren gewünscht, als ich regelmäßig mit Partitur gerüstet in die Oper ging. Völlig konsterniert war ich allerdings am Ende der Vorstellung: noch bevor die ersten Idioten zu klatschen anfangen konnten* fingen die Musiker schon an zu packen - bis der Dirigent seinen Applaus entgegennehmen konnte, war der Orchestergraben beklagenswert leer! Sehr sonderbar. Danach waren wir noch einen Absacker-Cocktail trinken - von dem Wunsch nach einem nächtlichen Dessert nahmen wir Abstand nach dem Blick auf die Karte. Während dort nämlich keine Getränkepreise verzeichnet waren (Damenkarte für zwei alleinreisende Damen?), waren die Kalorienangaben absolut unübersehbar - 1440 nachts um zwölf schien uns keine gute Idee zu sein angesichts des absehbaren Strandurlaubs im Mai (Aktion Sommerkörper, und so).
Der Sonntag begann mit einem fantastischen Osterbrunch bei unseren Gastgebern, ganz ohne Kalorienangaben für Rühreier, Bratkartoffeln, Käse und Lachs und Obstsalat und Schokoladenkuchen. Diese Gastfreundschaft wollten wir natürlich nicht mit Undank belohnen, und brachen erst gegen drei Uhr nachmittags auf. Während die gute L. sogar eine Einkaufsliste im Geiste mitgebracht hatte (Bikinishoppen, s.o.) und ich sie natürlich tatkräftig hätte unterstützten wollen, zeichnete sich doch ab, daß außer den üblichen internationalen Ketten die Läden selbst im nimmerkonsummüden NY am Sonntag geschlossen sein würden. Ins Museum zu gehen wäre bei dem traumhaften Wetter (kalt aber sonnig) wirklich Sünde gewesen, also endeten wir mit noch mehr Skinny Latte im Central Park auf der "Sheep Meadow".
Ich bin ja wahrhaftig kein ausgesprochener Freund von Großstädten und New York hat bei mir vor über zehn Jahren keinen großartigen ersten Eindruck hinterlassen. Häuserschluchten und stählerne Bordsteine machen mir Beklemmungen, multilpliziert mit Menschenmassen und potenziert durch schlechtes Wetter war ich auch im Laufe des ersten Tages wenig angetan, muß meine Meinung aber nach diesem wunderbar entspannten Sonntag revidieren: New York kann auch anders. Und ist dann eigentlich ganz nett.
*Wie ich Menschen hasse, die die Stille nicht als Bestandteil der Musik erkennen!
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