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Entwicklungen
Ich habe mich verändert im letzten Jahr. Ich erinnere mich noch, wie ich vor drei Jahren bei meinem ersten Aufenthalt in einem Entwicklungsland meine erste Kakerlake gesehen habe. In der Küche meines Arbeitgebers spazierte sie über die Arbeitplatte, auf der wir gerade Sandwiches zubereiteten. Ich habe nicht hysterisch gekreischt, war aber doch nachhaltig angewidert und habe danach mit neuer Leidenschaft den Kampf gegen Lebewesen mit mehr als vier Beinen in meiner Wohnung aufgenommen. Es ist nicht leicht, in Pappkartonbauten inmitten der afrikanischen Hitze das Zuhause viecherfrei zu halten, aber dank regelmäßiger Giftaktionen mit diversen Chemikalien habe ich seinerzeit den Kampf gewonnen.
In Ägypten vor einem Jahr war ich schon deutlich entspannter, hatte allerdings Glück und habe erst an meinem letzten Tag die Untermieter im Bad gesichtet. Mittlerweile lebe ich in einem Haus, das von offenen Abwasserkanälen umgeben ist, in denen die Wachleute unten ihre Schüsseln ausspülen und ihre Wäsche waschen. Komme ich abends im Dunkeln nach Hause, gehe ich immer außen um den Schutt und Müll herum, weil ich wiederholt Ratten habe herumspringen sehen. Keine Mäuse – richtige, fette Ratten. Ich mache mir auch keine Illusionen, daß meine Wohnung kakerlakenfrei sein könnte. Spätestens seit ich morgens eine vom Mitbewohner mittels Glas zermalmte Kakerlake in der Spüle entsorgt habe, weiß ich, daß ich mehr als nur zwei zweibeinige Mitbewohner habe. In der gesamten Wohnung gibt es Ameisen. Mittlerweile packe ich Kekse oder Brot immer in zwei Plastiktüten ein, andernfalls wuseln einem beim nächsten Öffnen der Packung zahllose Krabbelviecher entgegen. Die Cafettiera, die unser homme de ménage feucht in den Schrank gestellt hat, muß man vor der Benutzung erst ausschütteln. Ich bin von mir selbst überrascht, daß mich derartige Episoden inzwischen völlig kalt lassen. Ich will gar nicht wissen, wieviel Dreck ich bei meinen diversen Mahlzeiten in den letzten Monaten verspeist habe. Brot auf der Straße gekauft. Küchlein im Supermarkt um die Ecke. Chawarma im Dönerladen. Lebensmittelkontrolle? Fehlanzeige, hier. Ich bin nicht an den Details interessiert, will nicht genau wissen, wieviele Insektenleichen in den letzten Monaten durch mich hindurchgewandert sind – ist egal, das ist es wert.
Jeden Freitag und Samstag Abend bekommen wir Musik, umsonst. Unten im Hof ist ein Restaurant, das seinen Gästen jedes Wochenende Live-Musik bietet. Das Programm ist immer dasselbe, populäre kongolesische Schlager, außerdem Guantanamera, La Bamba und Marina. Danach kann man die Uhr stellen und ich bin zuversichtlich, bis Dezember auch die kongolesischen Titel mitsingen zu können. Selbst das stört mich nicht übermäßig. Würde ich die nächsten drei Jahre hier wohnen, würde ich meine Wohnungsentscheidung vielleicht noch mal überdenken, aber für die begrenzte Zeit meines Aufenthalts ist es vertretbar. Beinahe freue ich mich abends über die heitere Untermalung.
Abgestelltes Wasser? Stromausfälle? Alles mit schöner Regelmäßigkeit fest im Programm vorgesehen, man paßt sich an. Erstens kann man auf die Wassertonnen im Bad zurückgreifen, zweitens kann ich unten im Cercle Elais duschen gehen. Gegen Stromausfälle helfen der Laptop – solange die Batterie reicht – und die immer wieder einmalige Aussicht über den Fluß und die Stadt. Nein, beide Städte, Kinshasa wie Brazzaville, die beide zu meinen Füßen liegen.
Natürlich ist das immer noch Entwicklungsland light. Strom und Wasser gehen oft aus, aber eben auch irgendwann wieder an. Meine Wohnung ist ansonsten sehr passabel, die Ratten hausen acht Etagen unter mir und überhaupt: das ganz harte Programm für Fortgeschrittene blieb mir auch in Kinshasa erspart.
Vor allem aber: ich mag die Aufregungen und kleinen Abenteuer, die jeder Tag mit sich bringt. Man weiß nie genau, was einen erwartet, welche Bilder man heute geboten bekommt. Gestern auf dem Heimweg erhob sich dem Boulevard neben den tiefen Gräben, die Freunde aus Fernost im Rahmen ihrer Infrastrukturprojekte gebuddelt haben, ein Berg von Gepäck. Mehrere Koffer, Reisetaschen, dazwischen Plastiksäcke und Pappkartons. Auf einem der Koffer saß ein Soldat in Uniform, zwischen seinen Knien stand eine schwarze Ziege, die Leine fest in der Hand. Beide beobachteten der vorbeizuckelnden Verkehr. Ich bedauere in solchen Momenten, meine Kamera nicht dabei zu haben (und wenn ich sie hätte, könnte ich dennoch keine Fotos machen, Fotos von Soldaten brächten mich vermutlich in Teufels Küche). Ich schaue dann ganz genau hin und versuche das Bild abzuspeichern, auf daß ich mich irgendwann in fünfzig Jahren erinnern kann, wenn ich in Deutschland sitze, dem Siechtum verfallen und mich nicht mehr rühren kann. Dann habe ich aber zumindest ein aufregendes Leben gehabt.
In Ägypten vor einem Jahr war ich schon deutlich entspannter, hatte allerdings Glück und habe erst an meinem letzten Tag die Untermieter im Bad gesichtet. Mittlerweile lebe ich in einem Haus, das von offenen Abwasserkanälen umgeben ist, in denen die Wachleute unten ihre Schüsseln ausspülen und ihre Wäsche waschen. Komme ich abends im Dunkeln nach Hause, gehe ich immer außen um den Schutt und Müll herum, weil ich wiederholt Ratten habe herumspringen sehen. Keine Mäuse – richtige, fette Ratten. Ich mache mir auch keine Illusionen, daß meine Wohnung kakerlakenfrei sein könnte. Spätestens seit ich morgens eine vom Mitbewohner mittels Glas zermalmte Kakerlake in der Spüle entsorgt habe, weiß ich, daß ich mehr als nur zwei zweibeinige Mitbewohner habe. In der gesamten Wohnung gibt es Ameisen. Mittlerweile packe ich Kekse oder Brot immer in zwei Plastiktüten ein, andernfalls wuseln einem beim nächsten Öffnen der Packung zahllose Krabbelviecher entgegen. Die Cafettiera, die unser homme de ménage feucht in den Schrank gestellt hat, muß man vor der Benutzung erst ausschütteln. Ich bin von mir selbst überrascht, daß mich derartige Episoden inzwischen völlig kalt lassen. Ich will gar nicht wissen, wieviel Dreck ich bei meinen diversen Mahlzeiten in den letzten Monaten verspeist habe. Brot auf der Straße gekauft. Küchlein im Supermarkt um die Ecke. Chawarma im Dönerladen. Lebensmittelkontrolle? Fehlanzeige, hier. Ich bin nicht an den Details interessiert, will nicht genau wissen, wieviele Insektenleichen in den letzten Monaten durch mich hindurchgewandert sind – ist egal, das ist es wert.
Jeden Freitag und Samstag Abend bekommen wir Musik, umsonst. Unten im Hof ist ein Restaurant, das seinen Gästen jedes Wochenende Live-Musik bietet. Das Programm ist immer dasselbe, populäre kongolesische Schlager, außerdem Guantanamera, La Bamba und Marina. Danach kann man die Uhr stellen und ich bin zuversichtlich, bis Dezember auch die kongolesischen Titel mitsingen zu können. Selbst das stört mich nicht übermäßig. Würde ich die nächsten drei Jahre hier wohnen, würde ich meine Wohnungsentscheidung vielleicht noch mal überdenken, aber für die begrenzte Zeit meines Aufenthalts ist es vertretbar. Beinahe freue ich mich abends über die heitere Untermalung.
Abgestelltes Wasser? Stromausfälle? Alles mit schöner Regelmäßigkeit fest im Programm vorgesehen, man paßt sich an. Erstens kann man auf die Wassertonnen im Bad zurückgreifen, zweitens kann ich unten im Cercle Elais duschen gehen. Gegen Stromausfälle helfen der Laptop – solange die Batterie reicht – und die immer wieder einmalige Aussicht über den Fluß und die Stadt. Nein, beide Städte, Kinshasa wie Brazzaville, die beide zu meinen Füßen liegen.
Natürlich ist das immer noch Entwicklungsland light. Strom und Wasser gehen oft aus, aber eben auch irgendwann wieder an. Meine Wohnung ist ansonsten sehr passabel, die Ratten hausen acht Etagen unter mir und überhaupt: das ganz harte Programm für Fortgeschrittene blieb mir auch in Kinshasa erspart.
Vor allem aber: ich mag die Aufregungen und kleinen Abenteuer, die jeder Tag mit sich bringt. Man weiß nie genau, was einen erwartet, welche Bilder man heute geboten bekommt. Gestern auf dem Heimweg erhob sich dem Boulevard neben den tiefen Gräben, die Freunde aus Fernost im Rahmen ihrer Infrastrukturprojekte gebuddelt haben, ein Berg von Gepäck. Mehrere Koffer, Reisetaschen, dazwischen Plastiksäcke und Pappkartons. Auf einem der Koffer saß ein Soldat in Uniform, zwischen seinen Knien stand eine schwarze Ziege, die Leine fest in der Hand. Beide beobachteten der vorbeizuckelnden Verkehr. Ich bedauere in solchen Momenten, meine Kamera nicht dabei zu haben (und wenn ich sie hätte, könnte ich dennoch keine Fotos machen, Fotos von Soldaten brächten mich vermutlich in Teufels Küche). Ich schaue dann ganz genau hin und versuche das Bild abzuspeichern, auf daß ich mich irgendwann in fünfzig Jahren erinnern kann, wenn ich in Deutschland sitze, dem Siechtum verfallen und mich nicht mehr rühren kann. Dann habe ich aber zumindest ein aufregendes Leben gehabt.
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