Donnerstag, 10. September 2009
Erhellender Abend
Ich war mit meinem kongolesischen Bekannten M. Abendessen. Mir ist nicht ganz klar, warum sich jemand, der in diesem Land vermutlich glänzende Zukunftsaussichten hat und keinen Mangel an Freunden, Bekannten, Mandanten, Klienten und anderen Menschen, mit mir abgibt und sich geradezu rührend bemüht, mich zu integrieren. Egal, er tut es und ich bin froh darüber. Meistens redet er, ich kann ihm zwar auf Französisch folgen und gelegentliche Bemerkungen einflechten, bin aber selbst immer noch zu ungelenk, um komplexe Gedanken adäquat auszudrücken. Also saß ich ihm gestern Abend gegenüber, hörte zu, und lernte. Eine Menge. Die auftretenden Personen in diesem Kammerstück: meine Vorgesetzte, der schöne Franzose, und unser aller zwei Chefs. Zuerst waren wir ein Bier in der Hotelbar trinken. Dort lernte ich, daß der schöne Franzose wieder im Lande ist – buchstäblich – und vermutlich fünf Etagen über uns in seinem Hotelbett lag und sich von der langen Reise erholte. Da er mit seinem Zimmer nicht glücklich war (falsche Etage), klingelte M. einen seiner unzähligen Cousins heran, seines Zeichens im Hotel Management tätig, und arrangierte einen Zimmerwechsel für den schönen Franzosen. Nach vollbrachter Intervention wollte er den Kollegen informieren und nutzte dafür mein Telefon. Der schöne Franzose lehnte das Gespräch ab – was uns wiederum reichlich Gesprächsstoff gab. Danach waren wir noch zusammen eine Kleinigkeit essen, in einem anderen Restaurant. Und dort lernte ich: der schöne Franzose wollte eigentlich die Position meiner Vorgesetzten haben, hatte dafür auch die Unterstützung des einen Chefs, leider des falschen. Er hat jetzt eine andere Position und die ist vermutlich auch nicht schlecht – nur halt nicht jene, die er eigentlich wollte. Der schöne Franzose ist gerne in Gesellschaft der Schönen und Einflußreichen, wandelt bevorzugt in den Sälen der Macht und betreibt mit viel Energie die Herbeiführung von Möglichkeiten.*
Diese interessanten Details und Einschätzungen garnierte M. mit Anekdoten aus seiner eigenen beruflichen Kamarilla, wo er – bedeutend jünger als die meisten der ihm unterstellten Mitarbeiter – mit mannigfaltigen Intrigen zu kämpfen hat.
Ich bin nach wie vor zu naiv für diese Welt, weil ich derartige Unterströmungen selbst in meinem unmittelbaren Umfeld häufig gar nicht wahrnehme. Würde ich darüber nachdenken, wäre mir schon bewußt, daß es sie gibt – aber auf meinem Bildschirm sind sie nicht drauf, wenn man mich nicht mit der Nase darauf stößt. Vor allem aber sitze ich jetzt hier und stelle wieder einmal fest: solche Intrigen sind mir so fremd. Ich halte viel davon, sich durch qualitativ hochwertige Arbeit und Zuverlässigkeit zu empfehlen, die Machtspiele im Hintergrund hingegen durchschaue ich meistens zu spät oder gar nicht und wundere mich dann, warum ich auf die Nase falle. Aktives Engagement meinerseits ist völlig ausgeschlossen, ich bin eine lausige Lügnerin und noch schlechtere Intrigantin. Damit bin ich vermutlich völlig ungeeignet für jede Form der Karriere in einem größeren Unternehmen und es wäre weise, sich beizeiten nach einem Plan B fürs Leben umzuschauen.
Ich könnte reich heiraten und Mutter einer Division gutangezogener und wohlerzogener Kinderchen werden und dem Vaterland damit zukünftige Steuerzahler schenken. Oder ein Restaurant oder einen Delikatessen Laden eröffnen und die kulinarische Landschaft irgendeines abgeschiedenen Provinznestes bereichern. Oder ins Kloster gehen. Das sind die Möglichkeiten, die mir im Moment einfallen. Alternative Vorschläge bitte an meine Mailadresse.

*Ich bin für den schönen Franzosen vermutlich einfach nicht wichtig genug in meiner untergebenen Position, als daß er sich mit mir abgeben würde, wenn interessantere Persönlichkeiten verfügbar sind. Ernüchternde Erkenntnis und Ende aller romantischen Hoffnungen.

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