Mittwoch, 2. September 2009
Unschönes
Es fällt mir nicht leicht, häßlich über meine Mitmenschen zu reden. Häßliche Gedanken habe ich einigermaßen regelmäßig, aber ich schreibe sie nicht gerne nieder. Der Ehrlichkeit halber sollte ich aber doch auch die unschönen Erlebnisse aufbewahren, also bitte.
Ich habe seit heute einen neuen Taxifahrer. Wie bereits berichtet ist es mit dem Transport hier nicht einfach, nach den ersten drei Wochen hatte mir unser Rezeptionist einen verläßlichen, privaten Taxifahrer gesucht, der üblicherweise vor einem der Hotels auf Kundschaft wartet, und mich zukünftig morgens zur Arbeit bringen und abends abholen sollte. Die Strecke ist nicht weit, fast könnte ich vermutlich zu Fuß gehen, wäre das hier nicht grundsätzlich wenig empfehlenswert. Mit Hilfe des Rezeptionisten einigten wir uns auf fünfzehn Dollar für die zwei kurzen Fahrten (fünf Dollar weniger, als er ursprünglich verlangt hatte) – immerhin war ich gewissermaßen eine Langzeit-Kundin.
Erst einige Tage später fand ich im Gespräch mit anderen Kollegen heraus, daß dieselbe Dienstleistung leicht auch für zehn Dollar zu haben gewesen wäre. Honi soit..., wer unserem Rezeptionisten Böses unterstellt. Ich habe es dabei belassen, teils aus Bequemlichkeit, teils um keinen Sand ins Betriebe der Beziehungsgeflechte zu streuen. Nach drei Wochen kam ich Freitags abends verspätet aus dem Büro und auch wenn ich mich über die gelegentlichen Verspätungen des Fahrers nie beschwert hatte, fand ich doch meinerseits, daß dies ein guter Anlaß für ein einmaliges Trinkgeld sei, schob zwanzig statt der üblichen fünfzehn Dollar hinüber und erklärte den überraschenden Geldsegen hinreichend deutlich.
Samstags arbeite ich nur halbe Tage und so bat ich ihn am folgenden Mittag, mich um vier Uhr wieder abzuholen. Um drei rief ich an und vertagte auf fünf, wobei ich nicht umhin konnte, einen erheblichen Lärmpegel von Stimmen und lauter Musik im Hintergrund zur Kenntnis zu nehmen. Um kurz nach fünf setzte mich mein Taxiste vor der Haustür ab, und verkündete lapidar: J’ai besoin de vingt dollars. Warum? Weil er den ganzen Tag auf mich gewartet habe, keine anderen Kunden habe fahren können, darum. Ich setzte ihm auseinander, daß er mir das vorher sagen müsse, wenn die Fahrt plötzlich das dreifache des üblichen Preises kosten solle. Wir einigten uns auf zehn. Und ich schlich enttäuscht, bedrückt, verwirrt ins Haus. Was, bitte, soll man davon halten? Daß unser homme de ménage andauernd heiratet, Geburtstag hat (Anlaß für Geschenke des Arbeitgebers) und wir uns kümmern, wenn er krank ist und seine Arztrechnung und Medikamente bezahlen – keine Frage. Daß ich trotz des ohnehin völlig überzogenen Preises zwischendurch und am Ende meinem Taxifahrer etwas draufgebe – auch keine Frage. Aber diese völlig emotionslose, erklärungsfreie Ansage - nein, Forderung?
Man kann hier Dinge kaufen, die es in Deutschland für Geld nicht zu haben gibt. Freundlichkeit zum Beispiel. Gespräche. Sozialleben. Wer als Expatriate mit Einheimischen ausgehen will, gibt den Gastgeber. Wenn ich mit Kollegen die Chauffeure der Mietwagen geteilt habe, war es jedes Mal ein Erlebnis zu sehen, wie die Herren bei Trinkgeld auftauten, freundlicher, fröhlicher, entgegenkommender wurden. Und was ich mir zu Hause nicht hätte vorstellen können, stellt sich hier ein: das Wissen, dafür bezahlt zu haben, entwertet die Freundlichkeit keineswegs. Man nimmt es hin, als Bestandteil des Soziallebens in einer anderen Kultur. Ich habe uneingeschränkt Verständnis dafür, daß angesichts existentieller Not – wie wir sie in Deutschland zum Glück nicht mehr kennen – europäische Kategorien und Denkbegriffe von Moralität, Integrität und Ehrlichkeit obsolet sind, vielleicht sogar unangebracht – auf jeden Fall unrealistisch. Ich kann völlig verstehen, daß ein Fahrer, der einen Stall voller hungriger Kinder durchfüttern muß, eine zweistündige Odyssee mit desolaten öffentlichen Verkehrsmitteln hinter sich hat, wenn er mich morgens fürs Büro aufgerüscht aus meiner Wohnung abholt, keine blendende Laune hat. Ich kann verstehen, daß er schlechte Tage hat und ich kann verstehen, daß er bessere Laune bekommt, wenn das Trinkgeld es ihm erlaubt, sich ein warmes Mittagessen zu kaufen. Ich kann hingegen überhaupt gar nicht verstehen, wie manche Kollegen mit einer dreistelligen Verpflegungspauschale über zwei Dollar Trinkgeld für den Fahrer zum Mittagessen rumzicken (und das tun sie, ich habe es erlebt). Ich kann auch nicht verstehen, wie Expatriates ihrem Koch untersagen, sich mittags aus den Vorräten im Schrank eine Schüssel Reis zu machen oder ein Stück Brot aus dem Haushalt zu essen. Wenn ich so was höre, schäme ich mich für meine Hautfarbe.

Ich kann aber auch – im Falle meines Taxifahrers – nicht verstehen: wie kann man so dämlich sein und die Gans schlachten, die goldene Eier legt? Denn das war ich, eine goldene Gans. Für zwei lächerlich kurze Fahrten hat er für hiesige Verhältnisse wirklich viel Geld bekommen, und ohne seine Maßlosigkeit hätte ich die nächsten Wochen bis zu meiner Abreise jeden Tag brav bezahlt. Ich hätte meine Bettwäsche und Teile meiner Kleidung (die ich sicherlich nicht mit nach Hause schleppen werde) an ihn abgetreten, und hätte vermutlich bei meiner Rückkehr seinen Kinder eine Kleinigkeit mitgebracht. Statt dessen habe ich mir jetzt einen anderen Taxifahrer gesucht. Gans tot, legt keine goldenen Eier mehr. Gans aber auch immer noch verwirrt.

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