Donnerstag, 17. September 2009
Letzter Tag
Der letzte Tag war anstrengend. Es gab hundert Probleme und Mißverständnisse, ich bin den ganzen Tag hinter meinen Kollegen hergelaufen, um Unterlagen einzusammeln und meine Rückkehr Ende des Monats vorzubereiten und bin nebenbei der obersten Chefin vermutlich auf die Zehen gestiegen. Nicht sehr klug, aber jetzt auch nicht mehr zu ändern. Dafür hat mich der schöne Franzose abends um fünf bis zum Auto gebracht und den Fahrer ermahnt, er möge vorsichtig fahren, elle est précieuse!. Vielleicht besteht doch noch Hoffnung? Für die Fahrt zum Flughafen N’Djili haben wir fast zwei Stunden gebraucht, der Flughafen ist weit draußen und zwei Zwanzigfußcontainer auf LKWs haben den kompletten Verkehr lahmgelegt. Dafür hatte ich reichlich Gelegenheit, aus dem Fenster zu blicken und zu schauen. Hatte ich gedacht, am Tag im Viertel meines Französischlehrers Armut gesehen zu haben, wurde ich gestern eines Besseren belehrt. An manchen Ecken wäre ich am liebsten ausgestiegen und hätte den mageren, in abgerissene Fetzen gekleideten Gestalten meinen kompletten Kofferinhalt und all mein Geld gegeben – hätte ich meinen Koffer denn bei mir gehabt. Der wurde morgens schon im Air France Büro im Hotel eingecheckt und war mir gewissermaßen zum Flughafen vorausgereist.
Wir passierten abends einen älteren Herrn, unrasiert, eine schmutzige Baseballkappe auf dem Kopf, zwei schmuddelige T-Shirts übereinander und eine kaum noch als solche erkennnbare Jeans, außerdem völlig ausgetretene Gummilatschen. Mit der Ferse trat er auf diesen aber gar nicht auf, die Latschen hingen im 45 Grad Winkel an seinen Füßen. Der linke Socken war lila, der recht schmutzig-grau, und erst als ich länger hinsah erkannte ich, daß die Socken an den Fersen riesige Löcher hatten. Wobei Löcher noch ein Euphemismus ist, die Socken waren eigentlich eher so wie Überzieher, ein schmaler Steg dort, wo sich der Mittelfuß hebt, ansonsten von unten praktisch nicht vorhanden. Das sah man aber kaum, weil die Füße so staubig-grau wie die Socken waren. Traurig.
Mitten im Verkehrsinfarkt hielt neben uns ein öffentlicher Taxibus. Zwei Welten nebeneinander. Rechter Hand saß ich alleine in dem feinen, gepolsterten Bus der Reiseagentur, die für meinen Arbeitgeber den Flughafentransport mit sämtlichen Formalitäten übernimmt. Drei Bänke nur für mich, ich hätte mich auch lang ausstrecken können. Nach dem ersten Nieser in der zugigen Klimaanlage wickelte ich mich in Jacke und Schal ein und fühlte mich die ganze Zeit wie ein Voyeur, der aus der Sicherheit der behüteten Autozelle in die feindliche Welt hinausschaut. Zur linken Hand der öffentliche Taxibus. Ein uraltes Mercedes Modell in Sprintergröße, die Bestuhlung ausgeweidet und durch fünf oder sechs schmale Holzbänke ersetzt, auf jeder Bank drängten sich fünf oder sechs Passagiere wie die Sardinen. Rechnen Sie selbst: so ein Taxibus faßt leicht zwanzig Personen oder mehr, die sich fast gegenseitig auf dem Schoß hocken. Rückenlehnen gibt es nicht, festhalten ist überflüssig, umkippen kann da niemand. Es ist heiß, es ist schwül, drinnen in der drangvollen Enge vermutlich noch mehr als draußen. Zusätzlich zu den vorhandenen Fenstern sind runde Guckaugen aus den seitlichen Metallwänden herausgeschnitten und aus dem Radio dröhnt kongolesische Musik und beschallt die halbe Straße. Während ich kontemplativ meinen Gedanken nachhänge, unterhalten sich meine Nachbarn im Taxibus lautstark, gestikulieren, brüllen, singen mit. Mein Fahrer läßt die Fensterscheibe herunter, der Beifahrer des Taxibuses hängt sich halb aus dem Fenster, die beiden wechseln einige Worte in Lingala. Ich gucke, meine Nachbarn gucken, ohne das Gesicht zu verziehen, und dann schaue ich weg, weil ich mich schäme, für meine privilegierte Abgehobenheit. Kurz schrammen zwei verschiedene Welten aneinander vorbei, dann zieht der Verkehr die beiden Busse wieder auseinander und eine Stunde später leitet mich das Personal der Reiseagentur sicher durch das Gewusel auf dem Parkplatz von N’Djili. Die Rezeptionistin begleitet mich zur Toilette, damit ich nicht verloren gehe, in der Zwischenzeit kümmert sich ein anderer Angestellter darum, die Flughafensteuer von 50 USD zu bezahlen und sonstigen Papierkram zu erledigen. Bringt mich danach bis zur Paßkontrolle und wartet an einem Guckfenster, bis ich auch durch die Sicherheitskontrolle durch bin. Diese ist ein schlechter Witz, statt der flachen, rechteckigen Plastikschalen an europäischen Flughäfen gibt es hier das runde, halbhohe Modell aus China, zweifarbig gestrahlt, das einem auch auf der Straße bei Brotverkäufern und Wäscherinnen begegnet. Der Laptop läßt sich kaum reinlegen, interessiert aber auch niemanden besonders. Neben mir möchte jemand irgendwas Verbotenes mit in die Abflughalle nehmen, einige 1000 Francs wechseln den Besitzer und das Problem ist gelöst. Meine Wasserflasche reicht man mir freundlich über die Sicherheitssperre hinweg, mein Feuerzeug hingegen wird mir abgenommen. Auf der anderen Seite ist eine einzige Abflughalle mit ungefähr so vielen Stühlen wie der Wartebereich für zwei oder drei Flugsteige in Düsseldorf bietet, zwei Duty Free Läden und ein Café. Ich überlege kurz und beschließe dann, notfalls auch horrende Kosten in Kauf zu nehmen, wenn ich noch eine Zigarette rauchen kann, bestelle ein Tonic und erlebe eine angenehme Überraschung, als dieses nur 1000 Franc kostet. Schneller als erwartet fahren Busse vor und jemand brüllt Air France. Das ist mein Flug und es ist gut, daß sie schon um halb acht mit dem Boarding anfangen – technisch gesehen, zumindest – denn vor der Flugzeugtreppe werden alle Passagiere noch einmal von AF Personal durchleuchtet und das Handgepäck erneut durchsucht. Der Flug ist nicht ganz ausgebucht, und obwohl ich in der Reihe mit größerer Beinfreiheit sitze, schlafe ich schlecht und bin morgens um fünf bei der Landung völlig geplättet. In Paris ist alles noch leer und ich bin wider Erwarten rechtzeitig für den Anschlußflug am Gate. Dafür treffen mich die Lichter, Läden, Menschen, Schilder, der glitzende Fußboden, die spiegelnden Seiten in Düsseldorf wie ein Faustschlag in die Magengrube. Ich stehe – ungelogen! – minutenlang im Wartebereich und gucke, die Reizüberflutung ist enorm in jenem Moment. So anders! Es ist mir rätselhaft, wie meine Kollegen, die regelmäßig zwischen Johannesburg, Paris, Washington und Kinshasa hin und herjetten, damit umgehen. Kann man sich daran jemals gewöhnen?

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