Busbegegnung
Ich nehme relativ oft den gleichen Bus morgens oder abends, und nun hat es sich zugetragen, daß ich schon mindestens zwei Mal die Vierergruppe hinten rechts mit einer Mutter und ihren zwei Sprößlingen geteilt habe. Die Mutter schätze ich auf Mitte dreißig, ihre Kinder sind wohl sechs und acht, alle sprechen dieses etwas breite Black English, von dem ich nur die Hälfte verstehe. Vor allem die Kinder sind lustig anzuschauen: die Kleine ist regelmäßig mit einer baggy Jeans unter (!) grauem Faltenrock angetan, der etwas ältere Bengel hat eine passende graue Hose an – vermutlich geschuldet dem in Deutschland verpönten Zwang zur Schuluniform. Dazu silberne Turnschuhe und eine leuchtend pinkfarbene Mütze bei ihr – das nenne ich modisch mutig. Der Junge ist regelmäßig ein bißchen verrotzt und hat meistens Proviant in der Hand, dessen Verzehr ihn keineswegs vom reden abhält. Die Mutter ist optisch eher unauffällig, scheint aber ein bißchen launisch zu sein. Vielleicht hatte sie letzte Woche aber auch nur einen schlechten Tag, um den schroffen und ungeduldigen Umgang mit ihren zwei Kindern zu erklären. Ich dachte spontan an emotionale Verwahrlosung, und war danach ein bißchen traurig, weil die Kinder trotz Rotznase und modischer Fragwürdigkeiten reizend sind – die beiden Kleinen gehen nämlich sehr lieb miteinander um.

Heute hingegen wurde mein Eindruck grundlegend korrigiert. Die Mama war fröhlich, lieb zu den beiden, Späße flogen hin und her. Das Mädel drückte erst ihrem Bruder und dann ihrer Mutter einen spontanen Kuß auf die Wange, der Bruder zog sie zu beiläufig zu sich heran und neckte sie auf diese ganz bestimmte, nur für große Brüder reservierte Art. Am erstaunlichsten aber war die Konversation in den zwanzig Minuten, die wir die Bank teilten, drehte sie sich doch –

um Bücher. Die Mutter zog nacheinander an die zehn Kinderbücher aus ihrer Tasche, präsentierte sie stolz, die Kleine langte danach, Mama vertröstete auf die Lektüre zu Hause. Offensichtlich verbanden sich mit einigen der Bücher Erinnerungen an die eigene Kindheit der Mutter und auch die Absicht, mit ihrer Tochter gemeinsam zu lesen, wurde deutlich. Zum Abendessen wurden Hamburger oder Chicken Fingers festgelegt - mit Pommes, wünschte der Bengel.
Sonderbar, wie zwei verschiedene Gelegenheiten zwei so unterschiedliche, geradezu konträre Eindrücke dieser kleinen Familie abgeben. Bin ich zu neugierig, daß mich derlei zufällig Begegnungen so beschäftigen?

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jean stubenzweig, Mittwoch, 4. März 2009, 05:58
Ich gehe davon aus, daß es die angenehmen, positiv wahrgenommenen Erlebnisse sind. So eine Art deutsch-US-amerikanisches Washingtoner Abkommen (oh weh!).

Neugier? Nennen Sie's doch einfach Wißbegier. Zugleich retten Sie damit einen (offensichtlich) aussterbenden Begriff. Und wir bekommen obendrein ein paar Informationen mitgeliefert, die wir ansonsten nicht erhielten.

kamil, Mittwoch, 4. März 2009, 09:15
Ist doch gut, dass Sie das Geschehen in Ihrem Umfeld aufnehmen und verarbeiten. Wie oft sehe ich Leute im Bus, die in ihrer eigenen kleinen Welt leben und jeden Moment von einem Auto angefahren werden könnten, wenn sie auf der Straße unterwegs sind.