Auf eine Zigarette mit...
... Peer Steinbrück? Nicht ganz, aber fast. Rauchen ist eine unschöne Angewohnheit und meine Mama wünscht sich sehr, daß ich aufhöre. Ich habe diesbezüglich aber keine guten Vorsätze, denn im Falle des Scheiterns müßte ich mich schämen, also versuche ich es gar nicht erst. Ich genieße die fünf Minuten auf der Dachterrasse meines Arbeitgebers, mit einem Kaffee in der Hand, meinen Gedanken nachhängend, und freue mich über den gelegentlichen Geistesblitz, der mich dabei überkommt: die Lösung für ein Problem bei meiner Arbeit, eine schöne Formulierung für mein Blog, ein Plan für die Zukunft...
Im Moment ist die Arbeit eher stupide und so zog es mich am Spätnachmittag noch einmal aufs Dach. Wie schon zwei Stunden vorher saß auf der Mauer ein ziemlich gut gekleideter Herr, dem Rentenalter deutlich näher als ich – also nahe am Rentenalter, einen Hefter mit Unterlagen auf den Knieen, lesend.
Die flapsige Frage, ob er schon wieder oder immer noch hier oben sei, konnte sich die Dame von Welt gerade noch verkneifen – als er mich ansprach:
Er: Is this coincidence, or do we both not have enough work?
Ich: Meeeeee? No, not at all, I am working diligently all day and this MUST be coincidence.
Er: Hey, my name is N. – where are you from?
Ich: Nice to meet, you, I’m Damenwahl, from Germany. And you?
Er: I’m from X, other side of the world. Which department are you in?
Ich: I am just a visiting fellow, short-term assignment in XYZ division.
Er: Ah, so you are working for J.?
Ich: Well, not any more more, to be precise
[Chef J. hört bald auf. Es folgte eine kurze Diskussion über meine Arbeit, seine Arbeit und die Finanzkrise. Die Dame von Welt interessiert sich ja auch sehr für ihr Gegenüber, also fragte ich ganz höflich:]
What department are you working for?
Er: XYZ department, but I just joined in January, haven’t been here very long.
Ich: And, what have you been doing before that?
Er: I was Minister of Finance…. Of country X.
Hier verschluckte sich die Dame von Welt und hatte Mühe, nicht hysterisch zu lachen. Is klar, ich rauche gerade eine Zigarette mit dem ehemaligen Finanzminister eines nicht ganz unbedeutenden Schwellenlandes, für den Rest der Welt „your excellency“ – für mich, seit eben, N. Muhahahaa! Die Damen von Welt fängt sich natürlich wieder und setzt die angenehme Konversation souverän fort. Mit Hilfe des anwesenden Finanzministers a.D. von Welt, der die momentane Sprachlosigkeit der Dame elegant überging. Ich liebe meinen Job!

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jean stubenzweig, Samstag, 11. April 2009, 00:46
Ob sie das ist, die natürliche Autorität, die die Souveränität anderer zu fördern in der Lage ist?

arboretum, Samstag, 11. April 2009, 01:07
Ich kannte mal jemanden, der pflegte scherzhaft zu sagen, dass seine (damalige) Ehefrau, eine angehende Meterologie-Professorin, ihre wissenschaftliche Karriere nicht unwesentlich der Tatsache verdanke, dass sie rauche. "An den Aschenbechern traf sie regelmäßig die interessantesten und wichtigsten Leute und kam mit ihnen ins Gespräch", erzählte er. Aus den Gesprächen ergaben sich Forschungsstipendien in den USA, Israel und sonstwo. Leider hat ihre Ehe die vielen Auslandsaufenthalte irgendwann nicht mehr verkraftet.

damenwahl, Samstag, 11. April 2009, 05:03
Autorität wäre gar nicht meine erste Assozition gewesen - wir haben ja nur nett geplaudert. Entsprechend perplex war ich ja auch ob seiner Eröffnung. Das mag aber auch mit dem typisch amerikanischen Büro-Umgangston zusammenhängen. In Deutschland macht der Unterschied zwischen Du und Sie für mich immer einen großen gefühlten Distanzunterschied. Hier hingegen duzen sich alle und nennen sich beim Vornamen, professionellen Abstand hält man auf subtileren Ebenen - ein Ton, mit dem ich zunehmend warm werde.
Aber ja, seine Souveränität hat die meinige definitiv befördert.

Und ja, Frau Arboretum, auch einer der Gründe, warum ich wenig Neigung verspüre, meinem Laster abzuschwören: man kann beim Rauchen nette Dinge erleben und interessante Leute treffen. Zum Beispiel einen Ingenieur der Haustechnik (Exot, bei meinem Arbeitgeber), eine deutsche Kollegin, oder eben Finanzminister a.D. Und wenn ich auf diesem Wege irgendwann ein Stipendium bekäme, soll mir das auch sehr recht sein!

arboretum, Samstag, 11. April 2009, 10:41
Duzen sich da tatsächlich alle? Oder ist es nicht vielmehr so, dass man sich zwar beim Vornamen nennt, aber trotzdem "per Sie" ist? (Weshalb man eben auch auf subtiler Ebene professionellen Abstand hält.)

damenwahl, Montag, 13. April 2009, 17:58
Je nun, es gibt nun einmal nur ein "you" und in Kombination mit Vornamen fuehlt sich das wie duzen an, aber ohne den Distanzverlust, der nach meinem Empfinden in Deutschland mit dem Wechsel vom Sie zum Du einhergeht. Ungemuetlich ist nur, deutsche Kollegen zu treffen und ins Deutsche zu wechseln, denn eine doppelt so alte Dame dann auch auf deutsch einfach zu duzen ist wiederum sehr sonderbar.

arboretum, Donnerstag, 16. April 2009, 18:37
Nun, ich habe diese Kombination mit "you" und Vornamen zugleich aber subtiler Distanz nie als duzen empfunden, sondern als die - auch in Deutschland mitunter anzutreffende Kombination - von "Sie" und Vornamen. Dem Vernehmen nach soll Deutschen allerdings oft der Fehler unterlaufen, diese Kombination als "per Du sein" zu missverstehen.

mark793, Samstag, 18. April 2009, 19:10
Richtig, auch machen sich die wenigsten klar, dass im Englischen "You" nicht "Du" ist, sondern "Sie". Die vertraulichere Anredeform "thou" ist aus dem alltäglichen Sprachgebrauch schon länger verschwunden und fristet allenfalls in der King-James-Bibel ein lexikalisches Schattendasein.

damenwahl, Samstag, 18. April 2009, 21:19
Soviele Gedanken habe ich mir darüber nie gemacht. Sondern eher das "you" als ganz eigene Form der Anrede hingenommen, ohne wirklich Parallelen zu anderen Sprachen zu ziehen. Solche Nuancen lassen sich einfach nicht übersetzen, auch wenn es auf den ersten Blick scheint als würden sich alle duzen. Ich finde aber tatsächlich die Anrede mit Vornamen persönlicher als mit Nachnamen, da bin ich eben doch deutsch geprägt. Im formelleren Umfeld gibt es dann ja durchaus auch wieder Differenzierungen, zwar immer noch nur ein "you" aber Nachnamen und Titel. In Deutschland würde ich das einer einzigen Bürokommunikationsebene zuordnen, aber hier gibt es eben doch eine Abstufung: you+Vorname für Kollegen untereinander, you+Titel/Nachname bei offizielleren Anlässen. Oder auch in der Schule, von Schüler zu Lehrer. Nur Sportlehrer kann man gelegentlich auch mit Coach Davis statt Mr. Davis ansprechen.
Und "thou" kenne ich tatsächlich nur aus Büchern.

destello, Freitag, 30. April 2010, 21:00
Für mich ist ein Du + Vorname gerade wie es in den USA gelebt wird schon recht distanzlos. Letzte Woche hatten wir zwei US Berater bei uns. Im Englischen war es "You" und "David". In einer Pause stellte sich heraus, dass er gut Deutsch konnte und wir unterhielten uns ein wenig auf Deutsch. Er redete mich mit Sie an, ich dann auch, aber es hat mich Überwindung gekostet. Das Du wäre für mich die gefühlt passendere Entscheidung gewesen.