Taufe feudal
Am Donnerstag war ich der Quoten-Protestant. In Zentralafrika ist der Katholizismus weit verbreitet und durchdringt die Gesellschaft, oft mit geradezu evangelikalen Zügen. Unser Wachmann Olivier führt seinen Namen selbstverständlich auf die Bibel zurück. Ein Bekannter mit Namen Tamaris erzählte mir ausführlich von biblischen Begebenheiten rund um den Tamariskenbaum – hatte selbigen allerdings genausowenig jemals gesehen wie ich. Und so habe ich am Donnerstag bei der Taufe der kleinen Tochter von F. wieder einmal den Posten des etwas außenstehenden Beobachters eingenommen.
Die beiden Hauptstraßen waren wie immer nachmittags völlig zu mit geradezu ineinander verkeilten Autos, aber meine Befürchtungen, peinlicherweise die letzte zu sein, erfüllten sich nicht. Auch um halb vier (dreißig Minuten nach meiner Ankunft) stand die Festgesellschaft noch vor der Kirche. Es war unerträglich heiß, das Wasser lief mir den Rücken hinunter und sammelte sich beinahe in kleinen Pfützen in meinen Schuhen. So langsam bekomme ich Respekt vor der drohenden feucht-schwülen Regenzeit. Die Messe wurde von einem der Familie seit langen Jahren verbundenen Priester aus Belgien gelesen, der zu diesem Anlaß für eine Woche eingeflogen war. Die kleine A. trug ein etwas zu großes weißes Kleidchen – ebenfalls aus Belgien importiert – und sah aus wie ein entzückendes kleines Sahnebaiser. Die Herren trugen vorwiegend feine dunkle Anzüge, die jüngeren Damen Etuikleider und elegante Tagesgarderobe, diematronenhaften älteren weiblichen Familienmitglieder prächtige und aufwendig geschneiderte afrikanische Kombinationen. Es fehlten nur noch wagenradgroße Hüte, um das Bild der gehobenen Gesellschaft zu perfektionieren.
Die Kirche war mit unerträglich unbequemen kleinen Hockerstühlchen mit überhohen Lehnen und – dankenswerterweise – etlichen Ventilatoren bestückt, die zwar die Hitze etwas erträglicher machten, aber verhinderten, daß ich von der französischen Zeremonie mehr als drei Worte verstanden habe. Als einzige Weiße – mit Ausnahme des Priesters – fühlte ich mich entsetzlich unwohl, da im übrigen wirklich nur die engste Familie versammelt war. Mit Grauen sah ich dem anschließenden Cocktail entgegen und rechnete im Geiste aus, wann ich wohl angemessenerweise die Arbeit als Entschuldigung für einen frühen Abgang geltend machen könne. Der Empfang fand im Haus der Großmutter im Stadtteil Ma Campagne statt, dem Viertel, in dem auch die Domaine Présidentielle liegt. Der großzügige Garten war aufwendig dekoriert mit vielen Tischen, behussten und beschleiften Stühlen, Kinderspielgeräten und einem langen Buffet. Etwas verloren drückte ich mich die erste Stunde am Rande der eintreffenden Grüppchen herum, bis mir einige junge Frauen endlich entgegenkamen und mich ins Gespräch einbezogen. Waren zur Messe noch kaum dreißig Personen anwesend gewesen, wurde der Garten jetzt schnell voll, bis gegen sieben alle Tische besetzt waren. Die Eltern des Taufkindes sind Anfang dreißig und hatten offenbar sämtliche Schulfreunde der letzten zwanzig Jahre eingeladen. Jeder kannte jeden, alle waren zusammen die ersten Jahre zur Schule gegangen, die Mädchen tauschten Erinnerungen an den gemeinsamen Tanzkurs aus (ja, so was gibt es hier für die bessere Gesellschaft!). Weißt Du noch, als Marie neu war und sich überall vorstellte mit „Ich bin Marie und ich komme aus Equateur....“ – „Ja, muhahaha, und dann.... erinnerst Du Dich, als... soooo peinlich!“. Tausende Kilometer von Deutschland entfernt, aber die gleichen Geschichten wie in meiner Schulzeit. Um fünf wurden die Tische fertig dekoriert und der Champagner aufgekorkt. Mein Glas war nie leer und ich am Ende des Abends zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder ein wenig tipsy von Sprudelbrause. Wenig später kamen Tabletts mit Hors d’oeuvre, F. und seine Frau MP. waren vorbildliche Gastgeber, überall präsent, erkundigten sich in regelmäßigen Abständen nach meinem Befinden. In meinem Grüppchen junger Damen der lokalen jeunesse dorée hatte ich mich inzwischen gut eingelebt. Alle studiert, alle gereist, alle mit vernünftigen Jobs. Von Anfang an trennten sich Damen und Herren an den Tischen, was bei uns auch eingehend diskutiert wurde. Die Damen waren sich einig, dies sei typisches Verhalten für verheiratete Herren. Tatsächlich waren mehrere der jungen Frauen an meinem Tisch noch unliiert, ledige Herren hingegen habe ich keine getroffen. Wer mit Anfang dreißig hier nicht verheiratet ist, gilt als spätes Mädchen. Entsprechend spielten am anderen Ende des Gartens etliche Kinder, obwohl kaum eines der jungen Paare nach europäischen Maßstäben alt genug für Kinder im Schulalter aussah. Pünktlich zu Einbruch der Dämmerung fiel der Strom aus und ich hatte Gelegenheit zu lernen, daß trotz der noblen Umgebung Privathäuser in diesem Stadtteil nicht unbedingt über einen eigenen Generator verfügen – es blieb für eine knappe Stunde dunkel, bis unter lautem Gejohle Lichter und Musik wieder angingen und das Buffet eröffnet wurde. Zwischendurch präsentierte mir F. Familienfotoalben. Und die sahen genauso aus wie jene meiner Mama daheim. Die Fotos aus den siebziger Jahren etwas gelbstichig, Großeltern mit Enkeln, Mama mit Kindern in der Badewanne, Opa beim Spielen mit den Kleinen, Gruppenbild der Familie im Garten unter dem immer selben Baum – wären die Menschen nicht dunkelhäutiger gewesen, es hätte ein Familienalbum jeder beliebigen, gutbürgerlichen Mittelstandsfamilie in Deutschland sein können. Gegen neun Uhr hatte ich genug Champagner getrunken und nutzte die Gelegenheit, mich von einigen meiner Tischpartnerinnen – die zu weiteren Taten in die Stadt aufbrachen – nach Hause mitnehmen zu lassen. Taufe auf kongolesisch war so gar nicht kongolesisch. Aber schön.
Die beiden Hauptstraßen waren wie immer nachmittags völlig zu mit geradezu ineinander verkeilten Autos, aber meine Befürchtungen, peinlicherweise die letzte zu sein, erfüllten sich nicht. Auch um halb vier (dreißig Minuten nach meiner Ankunft) stand die Festgesellschaft noch vor der Kirche. Es war unerträglich heiß, das Wasser lief mir den Rücken hinunter und sammelte sich beinahe in kleinen Pfützen in meinen Schuhen. So langsam bekomme ich Respekt vor der drohenden feucht-schwülen Regenzeit. Die Messe wurde von einem der Familie seit langen Jahren verbundenen Priester aus Belgien gelesen, der zu diesem Anlaß für eine Woche eingeflogen war. Die kleine A. trug ein etwas zu großes weißes Kleidchen – ebenfalls aus Belgien importiert – und sah aus wie ein entzückendes kleines Sahnebaiser. Die Herren trugen vorwiegend feine dunkle Anzüge, die jüngeren Damen Etuikleider und elegante Tagesgarderobe, die
Die Kirche war mit unerträglich unbequemen kleinen Hockerstühlchen mit überhohen Lehnen und – dankenswerterweise – etlichen Ventilatoren bestückt, die zwar die Hitze etwas erträglicher machten, aber verhinderten, daß ich von der französischen Zeremonie mehr als drei Worte verstanden habe. Als einzige Weiße – mit Ausnahme des Priesters – fühlte ich mich entsetzlich unwohl, da im übrigen wirklich nur die engste Familie versammelt war. Mit Grauen sah ich dem anschließenden Cocktail entgegen und rechnete im Geiste aus, wann ich wohl angemessenerweise die Arbeit als Entschuldigung für einen frühen Abgang geltend machen könne. Der Empfang fand im Haus der Großmutter im Stadtteil Ma Campagne statt, dem Viertel, in dem auch die Domaine Présidentielle liegt. Der großzügige Garten war aufwendig dekoriert mit vielen Tischen, behussten und beschleiften Stühlen, Kinderspielgeräten und einem langen Buffet. Etwas verloren drückte ich mich die erste Stunde am Rande der eintreffenden Grüppchen herum, bis mir einige junge Frauen endlich entgegenkamen und mich ins Gespräch einbezogen. Waren zur Messe noch kaum dreißig Personen anwesend gewesen, wurde der Garten jetzt schnell voll, bis gegen sieben alle Tische besetzt waren. Die Eltern des Taufkindes sind Anfang dreißig und hatten offenbar sämtliche Schulfreunde der letzten zwanzig Jahre eingeladen. Jeder kannte jeden, alle waren zusammen die ersten Jahre zur Schule gegangen, die Mädchen tauschten Erinnerungen an den gemeinsamen Tanzkurs aus (ja, so was gibt es hier für die bessere Gesellschaft!). Weißt Du noch, als Marie neu war und sich überall vorstellte mit „Ich bin Marie und ich komme aus Equateur....“ – „Ja, muhahaha, und dann.... erinnerst Du Dich, als... soooo peinlich!“. Tausende Kilometer von Deutschland entfernt, aber die gleichen Geschichten wie in meiner Schulzeit. Um fünf wurden die Tische fertig dekoriert und der Champagner aufgekorkt. Mein Glas war nie leer und ich am Ende des Abends zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder ein wenig tipsy von Sprudelbrause. Wenig später kamen Tabletts mit Hors d’oeuvre, F. und seine Frau MP. waren vorbildliche Gastgeber, überall präsent, erkundigten sich in regelmäßigen Abständen nach meinem Befinden. In meinem Grüppchen junger Damen der lokalen jeunesse dorée hatte ich mich inzwischen gut eingelebt. Alle studiert, alle gereist, alle mit vernünftigen Jobs. Von Anfang an trennten sich Damen und Herren an den Tischen, was bei uns auch eingehend diskutiert wurde. Die Damen waren sich einig, dies sei typisches Verhalten für verheiratete Herren. Tatsächlich waren mehrere der jungen Frauen an meinem Tisch noch unliiert, ledige Herren hingegen habe ich keine getroffen. Wer mit Anfang dreißig hier nicht verheiratet ist, gilt als spätes Mädchen. Entsprechend spielten am anderen Ende des Gartens etliche Kinder, obwohl kaum eines der jungen Paare nach europäischen Maßstäben alt genug für Kinder im Schulalter aussah. Pünktlich zu Einbruch der Dämmerung fiel der Strom aus und ich hatte Gelegenheit zu lernen, daß trotz der noblen Umgebung Privathäuser in diesem Stadtteil nicht unbedingt über einen eigenen Generator verfügen – es blieb für eine knappe Stunde dunkel, bis unter lautem Gejohle Lichter und Musik wieder angingen und das Buffet eröffnet wurde. Zwischendurch präsentierte mir F. Familienfotoalben. Und die sahen genauso aus wie jene meiner Mama daheim. Die Fotos aus den siebziger Jahren etwas gelbstichig, Großeltern mit Enkeln, Mama mit Kindern in der Badewanne, Opa beim Spielen mit den Kleinen, Gruppenbild der Familie im Garten unter dem immer selben Baum – wären die Menschen nicht dunkelhäutiger gewesen, es hätte ein Familienalbum jeder beliebigen, gutbürgerlichen Mittelstandsfamilie in Deutschland sein können. Gegen neun Uhr hatte ich genug Champagner getrunken und nutzte die Gelegenheit, mich von einigen meiner Tischpartnerinnen – die zu weiteren Taten in die Stadt aufbrachen – nach Hause mitnehmen zu lassen. Taufe auf kongolesisch war so gar nicht kongolesisch. Aber schön.