Viele kleine Widrigkeiten
Gestern war ich die erste Nacht alleine in Kinshasa. Mitbewohner eins ist abgereist. Das ist schlecht für mein Sozialleben, aber gut für mein Budget, jetzt muß ich ihn nicht mehr durchfüttern. Mitbewohner Nummer zwei hätte eigentlich schon Freitag von seiner Dienstreise aus Kivu zurückkommen sollen, aber auf dem UN Flug am Freitag bekam er keinen Platz mehr und jener am Montag wurde abgesagt. Ich kann mir kaum vorstellen, wie ich während des Studiums über Tage alleine in meiner Wohnung vor mich hinpuzzeln konnte - die letzten zwei Jahre haben aus mir scheinbar doch noch einen geselligen Menschen gemacht oder mich zumindest so auf das Wohngemeinschaftsmiteinander konditioniert, daß ich mich gestern geradezu einsam gefühlt habe.

Nachdem mein Französisch Lehrer in aller Treuherzigkeit verkündete, er wolle sich auf eine Stelle als Verwaltungsassistent bei meinem Arbeitgeber bewerben und ich nicht das Herz hatte, ihm die völlige Aussichtslosigkeit seiner Bemühungen vor Augen zu führen;
nachdem außerdem mein Fahrer die morgendliche Verspätung abends aufholte, indem er mir zwanzig Minuten vor der vereinbarten Zeit mitteilte: Ich bin schon da.;
nachdem außerdem der Kühlschrank kläglich leer war und die Küche selbst absolut dunkel und daher unbrauchbar, aufgrund Lampenexplosion (ja, Sie lesen richtig, hier glühen die Drähte von Birnen nicht einfach durch, sondern explodieren mit einem lauten Knall in tausend Stücke);
nachdem außerdem heute morgen das Wasser wieder aus war und uns als nächstes vermutlich der Strom abgestellt wird, wenn wir nicht bis übermorgen die neueste Rechnung bezahlen, ich aber ohne Mitbewohner nicht weiß, wie ich das anstellen soll;
--- hatte ich gestern einen Abend lang keine Lust mehr auf Entwicklungsland. Ich möchte nicht mehr bei jedem Kleidungswechsel von Mücken gestochen werden. Ich möchte keine Ameisen mehr in der Brottüte und keine Maden in den Haferflocken. Ich möchte nicht mehr um Geld streiten müssen. Ich möchte morgens garantiert unbehindert duschen können. Ich möchte mich beim Verlassen des Hauses nicht mehr fragen müssen, ob abends noch alle meine Wertgegenstände da sein werden. Ob ich meinen Reisepass mit Visum zurückerhalten werde. Ob mein Vertrag für Oktober nicht langsam fertig ist.

Ich weiß, das wird vorbeigehen. Aber gerade wird mir alles ein bißchen viel.

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mark793, Dienstag, 8. September 2009, 20:35
Nach meinem Dafürhalten haben Sie sich eh eine Tapferkeitsmedaille verdient. Ich würde unter diesen Umständen wahrscheinlich permanent die Krise kriegen. Das wollte ich eigentlich schon zu dem vorigen Beitrag anmerken, aber hier passt es jetzt besser hin.

damenwahl, Dienstag, 8. September 2009, 21:06
Tapferkeitsmedaillen nehme ich immer gerne entgegen, bitte an meine Postadresse in Deutschland.

Tatsächlich machen all die Widrigkeiten das Leben hier ja auch erst spannend und ich wollte auf die Erfahrungen hier keinesfalls verzichten und auch eigentlich mit niemandem tauschen. Auch wenn ich mich manchmal nach der Beschaulichkeit, die in vielen Blogs im Subtext steht, sehne. Dafür habe ich ja später immer noch Zeit.

pathologe, Mittwoch, 9. September 2009, 10:01
Sie kommen drueber weg. Diesen "Lagerkoller" kriegt jeder Expat. Nach unterschiedlichen Zeitabstaenden. Aber wenn man drueber weg ist, geht es wieder. Alternativ koennte ich nur vorschlagen, in ein muslimisches Land ueberzusiedeln. Mittlerer Osten beispielsweise. Da sind einige der Probleme per se von Anfang an nicht vorhanden. Nordafrika indes - aber Sie waren da ja bereits.

arboretum, Mittwoch, 9. September 2009, 10:12
Dafür hat man als Frau in einem muslimischen Land andere Probleme.

damenwahl, Mittwoch, 9. September 2009, 13:37
Beide: ja. Klar komme ich drüber hinweg. Nicht umsonst gibt es für Härteposten einen R+R cycle. Nun ist Kinshasa nicht wirklich schlimm, aber Kollegen bestätigen, daß man nach acht Wochen reif für Urlaub und Zivilisation ist. Ich kann das nunmehr aus eigener Anschauung bestätigen.

Muslimische Länder stehen definitiv ganz oben auf meiner Wunschliste, andere Probleme hin oder her, damit habe ich ja auch Erfahrungen machen dürfen. Trotzdem! Eine Kollegin gestern berichtete, daß sie in Sudan mehr Gesprächspartnerinnen in gehobener Position getroffen hat, als hier. Hat mich überrascht. Ich muß das bei nächster Gelgenheit selbst in Augenschein nehmen, falls ich Gelegenheit bekomme.