Hausputz
Ich mag Computer. Schon immer. Im Jahre 1995 wünschte und bekam ich eine eigene Festplatte für den Computer meines Vaters, im Laufe der Jahre habe ich von beflisseneren Freunden das ein oder andere aufgeschnappt und bekomme die meisten alltäglichen Probleme inzwischen alleine in der Griff. Ich habe Festplatten formatiert unter diversen Betriebssystemen, Viren rausgeschmissen aus der virtuellen Wohnung und an besonders guten Tagen repariere ich sogar den Computer meines Vaters mit klugen Ratschlägen à la steck doch mal den Stecker wieder rein. Ich weiß was ich will und brauche, für mich sind ein matter Bildschirm, manche Anschlüsse und solide Qualität im Alltag wichtiger als ein paar Gigabyte mehr Speicher oder ein paar Gigahertz höhere Taktung und natürlich weiß ich schon länger, daß Windoze nicht das Maß aller Dinge ist. Aber so ein Wechsel ist aufwendig, welche Distribution, wie installieren, konfigurieren, umgewöhnen... . Mir alles zu anstrengend, bei den Fenstern kenne ich mich aus, und die nutzte ich, solange es lief.
Letzte Woche dann lief es leider nicht mehr. Sicherheitsparanoid wie ich bin, habe ich selbstverständlich Nutzerprofile angelegt, Virensoftware laufen, scanne regelmäßig alle Speichermedien, aber wenn esdie Hacker aus China der Teufel will, hilft das alles nichts. Zumal, wenn man gelegentlich fremde Medien einstöpselt. Dann piepst der Virenscanner, man löscht die Malware und denkt: Gut is'. Oder auch nicht, wenn der Virenscanner danach zu den unmöglichsten Zeiten piepst wie die Vöglein vor meinem Fenster frühmorgens. Ein Passwort-Sammler, nein, viele Passwort-Sammler in immer neuen Konfigurationen. Und, wie ich nach und nach lernte, mit immer neuen Registry-Einträgen. Die nicht von immer neuen Anti-Malware Programmen aufgespürt wurden. Aber sie waren da, ich habe es genau gesehen und selbst auf polnisch (Gugel-Treffer) konnte ich begreifen, daß es immer noch Malware ist, immer noch derselbe Stamm. Nach zwei Tagen war ich mit meiner Weisheit am Ende, die Malware selbst war im Explorer nicht mehr aufzutreiben, aber die Einträge in der Registry blieben, an mysteriösen Stellen. Nun habe ich kein Problem damit, in der Registry rumzuwühlen, auch nicht damit, Funktionen nach Anleitung zu aktivieren oder deaktivieren, aber einfach Schlüssel zu löschen, nein, das traute ich mich nicht. Bedauerlicherweise, katastrophalerweise liegen die Recovery CDs in der Heimat, aber mein Rechner und ich sitzen in der Schweiz. Meine Eltern auf CD Finding Mission zu schicken ist ebenso undenkbar wie wenig erfolgversprechend. Lenovo weigerte sich, einen neuen Satz CDs zu schicken, der Händler weigerte sich, meine Anfrage zu beantworten und so blieb nur, aus der Not eine Tugend zu machen und ein neues Betriebssystem zu installieren. Möglichst unter Beibehaltung von XP, zwecks spezieller Software, die ich nicht für Linux bekommen kann (jedenfalls nicht im Rahmen meiner finanziellen Verhältnisse, von den theoretischen Kosten könnte ich einen Monat leben).
Also habe ich alle Dateien doppelt gesichert, die Partitionierung aufs Geratewohl geändert, und dann Ubuntu installiert. Bin ja noch Einsteiger, zwecks langsamer Umgewöhnung. Alpträume hatte ich: das Internet könne nicht funktionieren. Der Router. Das W-Lan. In der Uni. Die Einstellungen. Die Festplatte mounten. Drucker. Software.
Sorgen ohne Ende, bisher alle unbegründet. Ich habe kein einziges Bit Daten verloren, Ubuntu läuft einwandfrei, Internet ging sofort, nur die Schriften sind etwas unscharf, aber es kann sich jetzt nur noch um Wochen handeln, bis ich das Prinzip der manuellen Konfiguration übers Terminal begreifen werde, und dann wird auch das, da bin ich sicher. Falls natürlich einer meiner geschätzten Leser erklären kann, warum die Schriften im Firefox minimal unschärfer sind als unter Windoze, manchmal auch kleiner, und die Optik der Seiten manchmal etwas schräg ist, nehme ich gerne Erklärungen zur Konfigurierung entgegen. Bis dahin muß ich mir, wenn man denn den Jubelnerds glauben darf, um Viren, Malware und Systemabstürze keine Gedanken mehr machen und fahre im Büro schneller hoch als jeder andere. Wir werden ja sehen.
Letzte Woche dann lief es leider nicht mehr. Sicherheitsparanoid wie ich bin, habe ich selbstverständlich Nutzerprofile angelegt, Virensoftware laufen, scanne regelmäßig alle Speichermedien, aber wenn es
Also habe ich alle Dateien doppelt gesichert, die Partitionierung aufs Geratewohl geändert, und dann Ubuntu installiert. Bin ja noch Einsteiger, zwecks langsamer Umgewöhnung. Alpträume hatte ich: das Internet könne nicht funktionieren. Der Router. Das W-Lan. In der Uni. Die Einstellungen. Die Festplatte mounten. Drucker. Software.
Sorgen ohne Ende, bisher alle unbegründet. Ich habe kein einziges Bit Daten verloren, Ubuntu läuft einwandfrei, Internet ging sofort, nur die Schriften sind etwas unscharf, aber es kann sich jetzt nur noch um Wochen handeln, bis ich das Prinzip der manuellen Konfiguration übers Terminal begreifen werde, und dann wird auch das, da bin ich sicher. Falls natürlich einer meiner geschätzten Leser erklären kann, warum die Schriften im Firefox minimal unschärfer sind als unter Windoze, manchmal auch kleiner, und die Optik der Seiten manchmal etwas schräg ist, nehme ich gerne Erklärungen zur Konfigurierung entgegen. Bis dahin muß ich mir, wenn man denn den Jubelnerds glauben darf, um Viren, Malware und Systemabstürze keine Gedanken mehr machen und fahre im Büro schneller hoch als jeder andere. Wir werden ja sehen.
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Halcyon
Manche Leute scheinen zu glauben, nur bei ihnen sei es im Sommer nett, grün, bergig, mit Wasser und glücklichen Kühen. Stimmt natürlich nicht, bei mir ist es auch nett. Zugegeben, ich arbeite noch an der Bildqualität (aber: vom Handy!), und bis dahin bekommen Sie eben schlechte Bilder von schönen Landschaften.
Im vergangenen Monat hat es gefühlte sechs Tage nicht geregnet, also, gar nicht geregnet, und ich bedauere auch kaum noch die Entscheidung für die Wohnung ohne Balkon - davon hätte ich ohnehin nicht viel gehabt.
Seit Wochen suche ich nach einer Strecke für meinen regelmäßigen Auslauf und das ist gar nicht trivial. Die Straße runter ist nur Asphalt, wenig schön. Gegenüber, habe ich inzwischen herausgefunden, ist eine Treppe und erst mal oben angelangt, kann man - theoretisch - relativ eben laufen. Wenn man denn diesen einen, theoretisch ebenen Weg finden würde. Das ist mir bisher noch nicht gelungen, denn die gängigen Karten zeigen keine Steigungen. Zuhause sind alles prima aus, aber sobald ich durch die Tür bin, geht das Elend los. Bisher also meistens Intervalltraining (mit etwas Phantasie kann man das so nennen), denn alle zehn Minuten stehe ich vor einer Steigung, die nur gehend zu bewältigen ist, wenn überhaupt. Immerhin mußte ich am Sonntag nicht mehr nach dem Weg heim fragen, das kann man als Fortschritt betrachten.
Zuerst die Treppe rauf - wohlgemerkt, eine von fünf Treppen, und davon nur das letzte Drittel.

Dann kommen Wiesen mit glücklichen Kühen.

Dann schöne Landschaften.

Und dann noch schönere Landschaften.

Nächstes Mal dann auch ohne Umwege, hoffentlich. Falls es gelegentlich eine Regenpause gibt.
Im vergangenen Monat hat es gefühlte sechs Tage nicht geregnet, also, gar nicht geregnet, und ich bedauere auch kaum noch die Entscheidung für die Wohnung ohne Balkon - davon hätte ich ohnehin nicht viel gehabt.
Seit Wochen suche ich nach einer Strecke für meinen regelmäßigen Auslauf und das ist gar nicht trivial. Die Straße runter ist nur Asphalt, wenig schön. Gegenüber, habe ich inzwischen herausgefunden, ist eine Treppe und erst mal oben angelangt, kann man - theoretisch - relativ eben laufen. Wenn man denn diesen einen, theoretisch ebenen Weg finden würde. Das ist mir bisher noch nicht gelungen, denn die gängigen Karten zeigen keine Steigungen. Zuhause sind alles prima aus, aber sobald ich durch die Tür bin, geht das Elend los. Bisher also meistens Intervalltraining (mit etwas Phantasie kann man das so nennen), denn alle zehn Minuten stehe ich vor einer Steigung, die nur gehend zu bewältigen ist, wenn überhaupt. Immerhin mußte ich am Sonntag nicht mehr nach dem Weg heim fragen, das kann man als Fortschritt betrachten.
Zuerst die Treppe rauf - wohlgemerkt, eine von fünf Treppen, und davon nur das letzte Drittel.

Dann kommen Wiesen mit glücklichen Kühen.

Dann schöne Landschaften.

Und dann noch schönere Landschaften.

Nächstes Mal dann auch ohne Umwege, hoffentlich. Falls es gelegentlich eine Regenpause gibt.
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Demnächst hier: wie ich Windoze untreu wurde. Noch bin ich damit beschäftigt, alles wieder ans Laufen zu bringen. Hab ja sonst nix zu tun. Da kann man sich doch mal drei Tage für den Rechner nehmen, oder?
But now: off for a doze.
But now: off for a doze.
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Frühling
Auf den Gehwegen knirscht noch der Splitt, aber die Schneemassen tauen weg. Es tropft in den Dachrinnen im Haus nebenan, es gluckert in den Rinnsteinen, der Waldboden quietscht bei jedem Schritt. Auf den Bergen sind noch einige letzte Schneefelder, aber die Mensa hat die Terrassenmöbel aufgebaut, das Restaurant gegenüber die Wolldecken für die Tische draußen einkassiert, allerorten Studenten in T-Shirts, Studenten auf der Wiese lang hingestreckt, Studenten in der Sonne und ich habe von vier bis fünf im T-Shirt auf dem Balkon gelernt.
Auf dem Balkon! Im T-Shirt! Die Luft riecht wieder, nach Tau, nach Gras, nach Moder, aber vor allem nach Frühling. Wäre ich nicht so außerordentlich zufrieden mit meiner Arbeitsleistung, mit den Erfolgen an der dummen Software ohne „a“, ich würde den baldigen Umzug in eine Wohnung ohne Balkon fast bedauern.
Es ist mir egal, wo alle anderen dieses Wochenende Skifahren gehen, das mache ich dann nächstes Jahr mit und werde meine Künste im Schuß fahren perfektionieren. Vorerst packe ich in Gedanken meinen Koffer für Kinshasa – und sortiere Visumsunterlagen. Jedes Mal ist es ein Theater, jedes Mal ist die Zeit zu knapp, aber bald, ganz bald, werde ich nicht mehr im Frühling sitzen, sondern im Hochsommer.
Wobei die Schweiz im Frühling schön ist:

Auf dem Balkon! Im T-Shirt! Die Luft riecht wieder, nach Tau, nach Gras, nach Moder, aber vor allem nach Frühling. Wäre ich nicht so außerordentlich zufrieden mit meiner Arbeitsleistung, mit den Erfolgen an der dummen Software ohne „a“, ich würde den baldigen Umzug in eine Wohnung ohne Balkon fast bedauern.
Es ist mir egal, wo alle anderen dieses Wochenende Skifahren gehen, das mache ich dann nächstes Jahr mit und werde meine Künste im Schuß fahren perfektionieren. Vorerst packe ich in Gedanken meinen Koffer für Kinshasa – und sortiere Visumsunterlagen. Jedes Mal ist es ein Theater, jedes Mal ist die Zeit zu knapp, aber bald, ganz bald, werde ich nicht mehr im Frühling sitzen, sondern im Hochsommer.
Wobei die Schweiz im Frühling schön ist:

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Babylon
Da meine Uni international sein möchte, finden Vorlesungen natürlich auf Englisch statt. Da meine Vorlesungen tatsächlich international sind (zum Beispiel zwei von fünf Studenten ohne hinreichende Deutschkenntnisse im Seminar) fand die Veranstaltung tatsächlich auf Englisch statt. Nachdem jedoch die beiden ausländischen Kommilitonen eines Tages früher gehen mußten, wurde auf Deutsch fortgesetzt. Und ich war irritiert: die Folien auf Englisch, die Begrifflichkeiten uns allen auf Englisch vertrauter als auf Deutsch, fielen die deutschen Worten in den ersten zwei Minuten in meinem Kopf durcheinander, bis ich mich in der neuen Sprache orientiert hatte.
Die schwarzgefleckte Sau der Englischkenntnisse unserer öffentlichkeitswirksamen Politiker hat das virtuelle Dorf schon wieder verlassen, aber mich beschäftigt die Frage noch immer, wie Sie sehen – nicht zuletzt, weil mir das Problem im Alltag dauernd begegnet.
Nun ist mein Englisch beileibe nicht perfekt. Ich mache immer wieder idiomatische Wendungen falsch, ich begegne in Filmen gelegentlich mir nur aus der Lektüre bekannten Wörtern, die ganz anders ausgesprochen werden, als ich gedacht hätte, mein Englisch leidet im Umgang mit Fremdsprachlern, ich kann geradezu zusehen, wie ich nachlässiger und fehlerhafter formuliere, aber ich komme zurecht. Ich merke es Aufsätzen häufig an, ob sie aus der Hand eines Muttersprachlers stammen oder nicht – aber jeder Muttersprachler würde wiederum meinen Texten anmerken, daß ich keiner bin. Und so schaue ich mir also mein Umfeld an und stelle fest: es ist schon alles sonderbar. Die Dozenten sprechen alle Englisch, häufig auf sehr hohem sprachlichen Niveau – funktional gesehen, für ihre Fachthemen – aber ach! der Akzent. Oder präziser: die Aussprache bestimmter Wörter. Zum Beispiel jener Dozent, der statt infinite tatsächlich infeineit sagte. Von dauernden grammatischen Fehlern auf dem Niveau der fünften Klasse schweige ich lieber. Ich kann nur vermuten, daß die Sprachkenntnisse in diesem Fall nie in größerem Umfang im Ausland getestet wurden, denn sonst wäre das wohl nicht passiert.
An diesem Punkt teilen sich die Welten: ich habe im vergangenen Jahr Überflieger meiner Altersgruppe aus aller Herren Länder kennengelernt und bei allen – auch bei den Deutschen, nebenbei bemerkt – war der längere Aufenthalt in englischsprachigen Ländern kein Alleinstellungsmerkmal mehr, sondern selbstverständlich. Je jünger, und je Überflieger, desto mehr. Ich habe es stets als Privileg empfunden, in sehr jungen Jahren im Ausland leben zu können und bin meinen Eltern bis heute dankbar für diese Möglichkeit. Ich merke überdeutlich, daß ich in Französisch niemals das Niveau meiner englischen Fähigkeiten erreichen werde. Das gedankenlose Gefühl für die Sprache, für Wendungen und Formulieren, für Satzbau und Grammatik, das ich mir in der Jugend in Englisch ganz beiläufig aneignete, ist auf Französisch unerreichbar. Ich muß mich bewußt bemühen, stehende Formulierungen abzuschauen, Floskeln aufzugreifen und in meinen Wortschatz zu integrieren und dieses Lernen ist für mich eine echte Anstrengung. Umso besser, daß mir zumindest der tägliche Kampf mit dem Englischen, den ich bei vielen Kommilitonen hier beobachte – denn wir sind zwar Elite, aber daran hapert es eben doch, provinzielle Elite, gewissermaßen – erspart bleibt.
Denn in meiner Wissenschaft ist Englisch Pflicht. Das ist schön, denn es fördert den internationalen Diskurs. Jeder von Rang und Bedeutung kann genug Englisch, um in dieser Sprache publizieren zu können, egal ob Inder, Franzosen oder Afrikaner und so verstehen sich alle, sämtliche Veröffentlichungen sind jedem zugänglich und jeder versteht jeden. Meistens jedenfalls, denn manchmal – so scheint mir – leidet das Niveau eben doch. Und das ist nicht schön. Sehr selten, aber doch gelegentlich, stolpere ich mehrfach über die Sätze in englischen Veröffentlichungen von Fremdsprachlern, die Formulierung passt einfach nicht, eingepackt in Floskeln und Fachwörter steht ein sinnloses Satzungetüm, das sich nicht erschließen will und die Erkenntnis springt einen an: das hier wäre in der jeweiligen Muttersprache nicht passiert. Dazu kommt meine gänzlich unwissenschaftliche Trauer um sprachliche Ästhetik. Englisch ist – bei allen Vorzügen – eine nüchterne, pragmatische Sprache, jedenfalls in ihrer wissenschaftlichen Variante. Im Gegensatz dazu kann ich mich im Französischen auch in nüchternen Texten an den allgegenwärtigen Resten blumiger, geschraubter Feinheiten und dem wunderbaren Klang der Wörter in meinem Kopf erfreuen oder im Deutschen an der sagenhaften Präzision und den wunderbaren Wortungetümen, die wir so frei bauen können. Ich vermisse die Vielfalt und die nationalen Eigenheiten, die in der sprachlichen Englischzentristik verloren gehen – aber es ist, wie es ist.
Vor diesem Hintergrund muß man sich fragen: wieviel Englisch sollte jemand können? Und wann darf man jemanden auslachen, dem es an Multilingualität fehlt? Die richtige Antwort lautet, so finde ich: es kommt darauf an. Mein Arzt muß kein Englisch können. Mein Handwerker ebensowenig. Mein emeritierungsnaher Professor aus früheren Zeiten, nach einer lebenslangen Karriere in der deutschen Wissenschaft, ebenso wenig. Und ein alternder Politiker, der in deutschen Innenpolitik Karriere gemacht hat auch nicht. Ich gehöre zu jener privilegierten Generation, die mit passablen Englischlehrern aufgewachsen ist, Sprachfreizeiten und Auslandssemester relativ einfach absolvieren konnte; englische Bücher stehen heute in jedem besseren Buchladen und die Notwendigkeit von Fremdsprachenkenntnissen für bestimmte Berufsbilder ist so offensichtlich, daß es in meinen Augen kaum noch Entschuldigungen gibt. In der Generation meiner Eltern war das anders, aber daraus ein disqualifizierendes Defizit abzuleiten, finde ich hart. Selbst in meinem beruflichen Umfeld, wo Fremdsprachenkenntnisse kein schmückendes Dekor sind, sondern zur Grundausstattung gehören, merkt man das sprachliche Gefälle zwischen dem jungen Gemüse, das Sprachen nebenbei in der Jugend erwerben konnte und den älteren Generationen, die es sich mühsam im Berufsleben erarbeiten mußten. Mehr noch: ich würde der älteren Generation auch dann keinen Strick drehen wollen, wenn sie trotz eigener Defizite Englischkenntnisse in der Jugend fordern, sondern nur dann, wenn sie sich schöner reden, als sie sind. Das ist dann allerdings – wie ja auch allenthalben festgestellt wurde – peinlich. Aber eben viel mehr ein charakterliches Defizit, als ein strukturelles Bildungs- oder Qualifikationsproblem. Es glaubt doch wohl niemand ernsthaft, daß alle Außenpolitiker dieser Welt und alle politischen EU-Repräsentanten fließend Englisch können? Nicht umsonst leisten wir Europäer uns schließlich einen immensen Übersetzungsapparat (den ich übrigens, trotz aller Kosten prima finde – dafür zahle ich gerne Steuern und bedauere keinen Cent).
Das oben erwähnte „Es kommt darauf an“, würde ich folgendermaßen konkretisieren: man muß wissen, wo man hinwill. Strebe ich eine Tätigkeit in einem internationalen Umfeld an, muß mich frühzeitig kümmern und bemühen und ein Kommilitone, der international arbeiten möchte, aber nie im Ausland war, ist bestenfalls naiv, schlimmstenfalls lächerlich zu schimpfen. Die Forderung jedoch, jeder müsse Englisch sprechen, ist in meinen Augen völlig überzogen, es gibt unendlich viele Berufsbilder, in denen Englisch so rasend wichtig nicht ist. Bedauerlich ist, daß man mit zarten sechzehn – wenn der Spracherwerb noch leicht fällt – nicht weiß, wohin die Reise gehen soll. Ich brauche keinen Arzt, der irgendwann mal Kindern in Südafrika die Nase geputzt hat, keine Mathelehrerin mit sozialem Jahr in Neuseeland und auch keinen Handwerker mit Auslandspraktikum. Zur persönlichen Bereicherung möge das machen, wer will, mir ist es gleich. Wenn hingegen jemand auf Englisch promovieren möchte und in jedem zweiten Satz das Dritte-Person-s vergißt, sollte derjenige seine Berufspläne noch mal überdenken oder eine Weiterbildung in Erwägung ziehen. Und natürlich nicht, egal welchen Alters, im Glashaus sitzend, mit Steinen werfen.
Die schwarzgefleckte Sau der Englischkenntnisse unserer öffentlichkeitswirksamen Politiker hat das virtuelle Dorf schon wieder verlassen, aber mich beschäftigt die Frage noch immer, wie Sie sehen – nicht zuletzt, weil mir das Problem im Alltag dauernd begegnet.
Nun ist mein Englisch beileibe nicht perfekt. Ich mache immer wieder idiomatische Wendungen falsch, ich begegne in Filmen gelegentlich mir nur aus der Lektüre bekannten Wörtern, die ganz anders ausgesprochen werden, als ich gedacht hätte, mein Englisch leidet im Umgang mit Fremdsprachlern, ich kann geradezu zusehen, wie ich nachlässiger und fehlerhafter formuliere, aber ich komme zurecht. Ich merke es Aufsätzen häufig an, ob sie aus der Hand eines Muttersprachlers stammen oder nicht – aber jeder Muttersprachler würde wiederum meinen Texten anmerken, daß ich keiner bin. Und so schaue ich mir also mein Umfeld an und stelle fest: es ist schon alles sonderbar. Die Dozenten sprechen alle Englisch, häufig auf sehr hohem sprachlichen Niveau – funktional gesehen, für ihre Fachthemen – aber ach! der Akzent. Oder präziser: die Aussprache bestimmter Wörter. Zum Beispiel jener Dozent, der statt infinite tatsächlich infeineit sagte. Von dauernden grammatischen Fehlern auf dem Niveau der fünften Klasse schweige ich lieber. Ich kann nur vermuten, daß die Sprachkenntnisse in diesem Fall nie in größerem Umfang im Ausland getestet wurden, denn sonst wäre das wohl nicht passiert.
An diesem Punkt teilen sich die Welten: ich habe im vergangenen Jahr Überflieger meiner Altersgruppe aus aller Herren Länder kennengelernt und bei allen – auch bei den Deutschen, nebenbei bemerkt – war der längere Aufenthalt in englischsprachigen Ländern kein Alleinstellungsmerkmal mehr, sondern selbstverständlich. Je jünger, und je Überflieger, desto mehr. Ich habe es stets als Privileg empfunden, in sehr jungen Jahren im Ausland leben zu können und bin meinen Eltern bis heute dankbar für diese Möglichkeit. Ich merke überdeutlich, daß ich in Französisch niemals das Niveau meiner englischen Fähigkeiten erreichen werde. Das gedankenlose Gefühl für die Sprache, für Wendungen und Formulieren, für Satzbau und Grammatik, das ich mir in der Jugend in Englisch ganz beiläufig aneignete, ist auf Französisch unerreichbar. Ich muß mich bewußt bemühen, stehende Formulierungen abzuschauen, Floskeln aufzugreifen und in meinen Wortschatz zu integrieren und dieses Lernen ist für mich eine echte Anstrengung. Umso besser, daß mir zumindest der tägliche Kampf mit dem Englischen, den ich bei vielen Kommilitonen hier beobachte – denn wir sind zwar Elite, aber daran hapert es eben doch, provinzielle Elite, gewissermaßen – erspart bleibt.
Denn in meiner Wissenschaft ist Englisch Pflicht. Das ist schön, denn es fördert den internationalen Diskurs. Jeder von Rang und Bedeutung kann genug Englisch, um in dieser Sprache publizieren zu können, egal ob Inder, Franzosen oder Afrikaner und so verstehen sich alle, sämtliche Veröffentlichungen sind jedem zugänglich und jeder versteht jeden. Meistens jedenfalls, denn manchmal – so scheint mir – leidet das Niveau eben doch. Und das ist nicht schön. Sehr selten, aber doch gelegentlich, stolpere ich mehrfach über die Sätze in englischen Veröffentlichungen von Fremdsprachlern, die Formulierung passt einfach nicht, eingepackt in Floskeln und Fachwörter steht ein sinnloses Satzungetüm, das sich nicht erschließen will und die Erkenntnis springt einen an: das hier wäre in der jeweiligen Muttersprache nicht passiert. Dazu kommt meine gänzlich unwissenschaftliche Trauer um sprachliche Ästhetik. Englisch ist – bei allen Vorzügen – eine nüchterne, pragmatische Sprache, jedenfalls in ihrer wissenschaftlichen Variante. Im Gegensatz dazu kann ich mich im Französischen auch in nüchternen Texten an den allgegenwärtigen Resten blumiger, geschraubter Feinheiten und dem wunderbaren Klang der Wörter in meinem Kopf erfreuen oder im Deutschen an der sagenhaften Präzision und den wunderbaren Wortungetümen, die wir so frei bauen können. Ich vermisse die Vielfalt und die nationalen Eigenheiten, die in der sprachlichen Englischzentristik verloren gehen – aber es ist, wie es ist.
Vor diesem Hintergrund muß man sich fragen: wieviel Englisch sollte jemand können? Und wann darf man jemanden auslachen, dem es an Multilingualität fehlt? Die richtige Antwort lautet, so finde ich: es kommt darauf an. Mein Arzt muß kein Englisch können. Mein Handwerker ebensowenig. Mein emeritierungsnaher Professor aus früheren Zeiten, nach einer lebenslangen Karriere in der deutschen Wissenschaft, ebenso wenig. Und ein alternder Politiker, der in deutschen Innenpolitik Karriere gemacht hat auch nicht. Ich gehöre zu jener privilegierten Generation, die mit passablen Englischlehrern aufgewachsen ist, Sprachfreizeiten und Auslandssemester relativ einfach absolvieren konnte; englische Bücher stehen heute in jedem besseren Buchladen und die Notwendigkeit von Fremdsprachenkenntnissen für bestimmte Berufsbilder ist so offensichtlich, daß es in meinen Augen kaum noch Entschuldigungen gibt. In der Generation meiner Eltern war das anders, aber daraus ein disqualifizierendes Defizit abzuleiten, finde ich hart. Selbst in meinem beruflichen Umfeld, wo Fremdsprachenkenntnisse kein schmückendes Dekor sind, sondern zur Grundausstattung gehören, merkt man das sprachliche Gefälle zwischen dem jungen Gemüse, das Sprachen nebenbei in der Jugend erwerben konnte und den älteren Generationen, die es sich mühsam im Berufsleben erarbeiten mußten. Mehr noch: ich würde der älteren Generation auch dann keinen Strick drehen wollen, wenn sie trotz eigener Defizite Englischkenntnisse in der Jugend fordern, sondern nur dann, wenn sie sich schöner reden, als sie sind. Das ist dann allerdings – wie ja auch allenthalben festgestellt wurde – peinlich. Aber eben viel mehr ein charakterliches Defizit, als ein strukturelles Bildungs- oder Qualifikationsproblem. Es glaubt doch wohl niemand ernsthaft, daß alle Außenpolitiker dieser Welt und alle politischen EU-Repräsentanten fließend Englisch können? Nicht umsonst leisten wir Europäer uns schließlich einen immensen Übersetzungsapparat (den ich übrigens, trotz aller Kosten prima finde – dafür zahle ich gerne Steuern und bedauere keinen Cent).
Das oben erwähnte „Es kommt darauf an“, würde ich folgendermaßen konkretisieren: man muß wissen, wo man hinwill. Strebe ich eine Tätigkeit in einem internationalen Umfeld an, muß mich frühzeitig kümmern und bemühen und ein Kommilitone, der international arbeiten möchte, aber nie im Ausland war, ist bestenfalls naiv, schlimmstenfalls lächerlich zu schimpfen. Die Forderung jedoch, jeder müsse Englisch sprechen, ist in meinen Augen völlig überzogen, es gibt unendlich viele Berufsbilder, in denen Englisch so rasend wichtig nicht ist. Bedauerlich ist, daß man mit zarten sechzehn – wenn der Spracherwerb noch leicht fällt – nicht weiß, wohin die Reise gehen soll. Ich brauche keinen Arzt, der irgendwann mal Kindern in Südafrika die Nase geputzt hat, keine Mathelehrerin mit sozialem Jahr in Neuseeland und auch keinen Handwerker mit Auslandspraktikum. Zur persönlichen Bereicherung möge das machen, wer will, mir ist es gleich. Wenn hingegen jemand auf Englisch promovieren möchte und in jedem zweiten Satz das Dritte-Person-s vergißt, sollte derjenige seine Berufspläne noch mal überdenken oder eine Weiterbildung in Erwägung ziehen. Und natürlich nicht, egal welchen Alters, im Glashaus sitzend, mit Steinen werfen.
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Ironie des Schicksals ist...
...morgens um zehn,
unter dem Eindruck der letzten, noch frischen Bewerbungsabsage für die Traumstelle,
Anrufe in akuter Torschlußpanik bei Personen mit weiterem Horizont zu tätigen, um sich bestätigen zu lassen, daß eine Promotion keine karriereversauende Zeitverschwendung ist,
den Vormittag mit Finanzierungsfragen und Organisationsaufgaben zu verbringen,
um vierzehn Uhr den ersten Mietvertrag seit vier Jahren zu unterschreiben,
und um siebzehn die Einladung zum Gespräch für eine vergleichbare Wunschstelle zu erhalten.
Verdammt.
unter dem Eindruck der letzten, noch frischen Bewerbungsabsage für die Traumstelle,
Anrufe in akuter Torschlußpanik bei Personen mit weiterem Horizont zu tätigen, um sich bestätigen zu lassen, daß eine Promotion keine karriereversauende Zeitverschwendung ist,
den Vormittag mit Finanzierungsfragen und Organisationsaufgaben zu verbringen,
um vierzehn Uhr den ersten Mietvertrag seit vier Jahren zu unterschreiben,
und um siebzehn die Einladung zum Gespräch für eine vergleichbare Wunschstelle zu erhalten.
Verdammt.
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Impressionen
Ein Auto passiert mich mit heulendem Motor, 1-er BMW in dunkelblau metallic. Als der an mir vorbei ist, sehe ich quer übers Heck: Abi 2008.
*
In der Garderobe, zwei junge Männer.
Bengel 1: Und dann gehe ich auf jeden Fall zum Weinabend diese Woche.
Bengel 2: Es gibt an der Uni einen Weinclub?
Bengel 1: Ja klar.
*
In der Bibliothek. Ich habe mir einen Tisch mit stumpfem Blick auf die Wand in einer Ecke gesucht, zwei Tische weiter links lernt ein Streber, um die Ecke herum zwei Tische weiter rechts ein halbwüchsiges Mädel in Manschettenbluse. Die Tische sind ungefähr einen 2/3 Quadratmeter groß, vier runde Stahlbeine, eine Holzplatte, nicht am Boden befestigt. Ein junger Mann kommt, Seglerschuhe, lässige Jeans, blaues Hemd, braver Pullover. Dunkelblonde Haare, ordentlich gescheitelt wie mein Onkel auf alten Fotos, das Gesicht auch ebenso glatt und nett. Er packt sein Macbook aus, sortiert ein bißchen, surft ein bißchen. Holt ein Anbindekabel hervor, schlingt das Kabel ums Tischbein. Ich schiele nach rechts, beobachte, wie er sein Geld hervorholt, sein Telefon, schiele zum Kabel um das Tischbein, und wieder zu ihm. Tatsächlich, er steht auf und geht. Pause machen.
*
In der Vorlesung. 15 Studenten im ungefähr zweiten Jahr. Sieben aufgeklappte Laptops (vorlesungstechnisch keinerlei Anlaß für diese Aufrüstung, Stift und Papier reichen mir völlig). Davon drei Macbooks. Neben mir Facebook und Internet, das sehe ich deutlich. Zwei der drei Macbooks stehen übrigens bei den Elitessen der letzten Woche.
*
Fünfzehn Minuten nach offiziellem Vorlesungsende (das weiß man hier immer sehr gut, weil eine Pausenglocke klingelt) referiert der jugendliche und jungenhafte Dozent immer noch mit leuchtenden Augen über die Tücken der Software, die wir in der Hausaufgabe anzuwenden haben und die Fortschritte in den verschiedenen Versionen seit seiner Studienzeit. Aber: „I extended the deadline until March 31st to give you more time and get acquainted with the software. If you have any problems, e-mail me and we'll try to figure it out, and if that doesn't work don't hesitate to drop by in my office, I have three computers all equipped with the software so I can show you how to solve your problems.“ Sein Büro ist übrigens gegenüber meiner aktuellen Bleibe und er ist der mit dem Licht bis Mitternacht. Bestimmt spielt er dort World of Warcraft simultan auf seinen drei Computern. Oder so.
*
In der Garderobe, zwei junge Männer.
Bengel 1: Und dann gehe ich auf jeden Fall zum Weinabend diese Woche.
Bengel 2: Es gibt an der Uni einen Weinclub?
Bengel 1: Ja klar.
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In der Bibliothek. Ich habe mir einen Tisch mit stumpfem Blick auf die Wand in einer Ecke gesucht, zwei Tische weiter links lernt ein Streber, um die Ecke herum zwei Tische weiter rechts ein halbwüchsiges Mädel in Manschettenbluse. Die Tische sind ungefähr einen 2/3 Quadratmeter groß, vier runde Stahlbeine, eine Holzplatte, nicht am Boden befestigt. Ein junger Mann kommt, Seglerschuhe, lässige Jeans, blaues Hemd, braver Pullover. Dunkelblonde Haare, ordentlich gescheitelt wie mein Onkel auf alten Fotos, das Gesicht auch ebenso glatt und nett. Er packt sein Macbook aus, sortiert ein bißchen, surft ein bißchen. Holt ein Anbindekabel hervor, schlingt das Kabel ums Tischbein. Ich schiele nach rechts, beobachte, wie er sein Geld hervorholt, sein Telefon, schiele zum Kabel um das Tischbein, und wieder zu ihm. Tatsächlich, er steht auf und geht. Pause machen.
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In der Vorlesung. 15 Studenten im ungefähr zweiten Jahr. Sieben aufgeklappte Laptops (vorlesungstechnisch keinerlei Anlaß für diese Aufrüstung, Stift und Papier reichen mir völlig). Davon drei Macbooks. Neben mir Facebook und Internet, das sehe ich deutlich. Zwei der drei Macbooks stehen übrigens bei den Elitessen der letzten Woche.
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Fünfzehn Minuten nach offiziellem Vorlesungsende (das weiß man hier immer sehr gut, weil eine Pausenglocke klingelt) referiert der jugendliche und jungenhafte Dozent immer noch mit leuchtenden Augen über die Tücken der Software, die wir in der Hausaufgabe anzuwenden haben und die Fortschritte in den verschiedenen Versionen seit seiner Studienzeit. Aber: „I extended the deadline until March 31st to give you more time and get acquainted with the software. If you have any problems, e-mail me and we'll try to figure it out, and if that doesn't work don't hesitate to drop by in my office, I have three computers all equipped with the software so I can show you how to solve your problems.“ Sein Büro ist übrigens gegenüber meiner aktuellen Bleibe und er ist der mit dem Licht bis Mitternacht. Bestimmt spielt er dort World of Warcraft simultan auf seinen drei Computern. Oder so.
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Klinkenputzen
Mit kaum neunzehn Jahren, die Eltern in der Sommerfrische und unabkömmlich, zog ich das erste Mal aus, mir ein eigenes Heim zu suchen. Wieviel ich ausgeben dürfe, hatte ich gefragt. 400 DM, war die Antwort – die Ambition meines Ziels, innerhalb eines Tages ein passendes Zimmer für diesen Preis zu finden, wurde mir im Laufe des Tages schnell klar. Am Ende wurde es eines jeder typischen Studentenwohnheimzimmer. Die Dusche nur ein abgesenkter Fliesenboden, das Bett ein Bettsofa, draußen fuhren die Züge so dicht am Fenster vorbei, daß ich sie hätte streicheln können, aber das Limit meiner Eltern war eingehalten.
Nach Jahren in mehr oder minder hübschen Wohnungen und mehr oder minder angenehmen Wohngemeinschaften werde ich endlich die Kisten wieder auspacken, die ich vor vier Jahren gepackt habe und die seither unangerührt in verschiedenen Kellern auf mich warten. Meine Bücher und meine Bilderrahmen, mein Geschirr und meine Fotoalben, den kitschigen Swarowski-Delphin (ein Geschenk), meine Wassergläser aus Marokko und die Bettwäsche aus Großtantes Aussteuerdamast. Allerdings werden all meine schönen Habseligkeiten voraussichtlich in eine Bleibe auf dem Standard meiner ersten Studentenjahre einziehen. Nach Inflation dann für eher 400 Euro als 400 DM. Ich war also auf der Suche nach einem Dach über dem Lotterbett zum Lesen für mich und dem Schreibtisch für mein virtuelles Wohnzimmer, und das war gar nicht einfach. Bei Mietpreisen wie in der Frankfurter City habe ich mich rasch von der Vorstellung verabschiedet, mehr als dreißig Quadratmeter anzustreben. Ich wollte: einen Balkon oder eine separate Küche (für den gesellschaftsverträglichen Konsum meines liebsten Lasters). Holz oder Laminat. Zentrale Lage. Maximal 700 CHF. Und bitte: irgendwas mit Charme, Persönlichkeit, Kuschelfaktor.
Die erste Wohnung war teuer und düster. Wenn schon Souterrain und getäfelte Decken, kann man die nicht wenigstens weißen? Der Reiz der Terrasse nach draußen wurde gemindert durch die übervollen Biotonnen gleich nebendran. Die zweite hatte die Größe eines Schuhkartons (für Sandalen, nicht für Stiefel), Küchenzeile mittendrin und auch die Option, den alten Kleiderschrank im Waschkeller nebenan mitnutzen zu dürfen für eigene Kleidung, machte dieses Angebot nicht attraktiver. Die nächste Wohnung, äußerst zentral gelegen gleich über dem innerstädtischen Waffen- und Militarialaden und mit Fenster zur Hauptstraße, begeisterte mich gleichermaßen wenig, auch wenn der dort residierende junge Mann mit seinen sonderbaren Ohrringen und engen Lederhosen eine interessante Bekanntschaft war. Der nächste Termin, für den ich extra um 18 Uhr abends noch mal den Berg hinabgeklettert war (und folglich später wieder hinaufklettern mußte) tauchte nicht auf – die Lage inmitten etlicher Geschäfte des multikulturellen Einzelhandels und allerlei fragwürdiger Lokalitäten schien aber ohnehin nicht wünschenswert, so daß ich nur mäßig enttäuscht war.
Beim nächsten Termin waren die Fotos im Internet durchaus vielversprechend, ein verwinkeltes Zimmerchen mit halb Balkon halb verglastem Wintergarten in idealer Lage, leider tauchte hier die Schlüsselinhaberin nicht auf. Beim Folgetermin stellte ich fest: die Fotos gehörten zu einer anderen Wohnung im selben Haus. Wie frech kann man als Makler eigentlich sein? Immerhin habe ich dafür ein Waschbecken gesehen, das man aufgrund der Platzbegrenzung zwischen über-der-Badewanne und über-der-Toilette an einer Schiene bewegen kann. Äußerst praktisch, das.
Dann gab es noch die Dame, die über Tage am Telefon nicht erreichbar war, und am Sonntag Abend um 17h00, als ich endlich Erfolg hatte, zu brüllen anhub: „SIE! An einem Sonntag! Was erlauben Sie sich..., das ist ja...“ Sie lesen richtig, ich wurde am Telefon wie ein Schulmädel runtergeputzt. Ich nehme an, nach meiner Beschwerde beim Makler wird ihr jemand etwas über korrektes Verhalten während der Nachmietersuche und Nichterreichbarkeit beibringen, ich für mein Teil werde nie wieder Schweizer am Sonntag anrufen, nicht einmal in äußerster Not. Ich verspreche es.
Das einzige nicht ganz und gar schreckliche Objekt bisher war die Wohnung in einem Riesenblock aus den 60er Jahren, sehr gepflegt mit den gleichen kleinen schwarzen Klingelschildchen, Briefkastenschildchen und putzigen – ebenfalls identischen – bunten Teppichen vor allen Türen, im 9. Obergeschoß im Beinahe-Penthouse. Das insofern, als der Balkon über die Länge des Zimmers nach oben offen war, wunderbar hell, freundlich, sonnig. Ansonsten leider eher funktional und unpersönlich, aber auf halbwegs durchdachte Weise mit Einbauschränken und dergleichen praktischen Details. Nach Abarbeitung meiner letzte Woche erstellten Liste sah ich mich bereits die nächsten drei Jahre in einem vernünftigen Kompromiß-Schuhkarton zwischen schwedischen Standardmöbeln sitzen, die Traumwohnung, die einen beim ersten Blick vereinnahmt und sagt „nimm mich, ich bin perfekt trotz aller Makel“ war nicht dabei. Bis heute. Das schmalbrüstige, zu beiden Seiten von größeren Bauten eingequetschte Fachwerkhäuschen war ein Geheimtipp von Freunden, unter der Hand - was mal wieder bestätigt, daß die schönen Objekte eben nicht im Internet zu finden sind. Eine schauerlich schiefe, schmale Treppe ins Obergeschoß, eine geradezu ausufernd üppige Küchenzeile mit einer kleinen Theke und zwei Barhockern, die mich an die typischen Provinz-Pizzerien meiner Kindheit im siebziger Jahre Stil erinnerten. Außerdem Parkett und freiliegende Trägerbalken. Kein Balkon, kein Trockenkeller, die Küche im Raum, keine lange Fensterfront, sondern Butzenscheiben – aber: die ist es. Das wußte ich eigentlich sofort oder jedenfalls nach fünf Minuten, aber sicherheitshalber und aus Verantwortungsbewußtsein habe ich um eine Nacht Bedenkzeit gebeten. Ich ahne, daß ich mit zu großen Möbeln und zu wenig Platz kämpfen werde, nichts wird passen, ich werde fluchen, wenn meine Blusen das Bad wie ein orientalisches Zelt zuhängen werden, während ich eine Küche dieser Dimension nie nutzen werde, und dennoch: ich weiß, daß ich mich dort Zuhause fühlen werde und das ist das Wichtigste. Mission erfüllt.
Nach Jahren in mehr oder minder hübschen Wohnungen und mehr oder minder angenehmen Wohngemeinschaften werde ich endlich die Kisten wieder auspacken, die ich vor vier Jahren gepackt habe und die seither unangerührt in verschiedenen Kellern auf mich warten. Meine Bücher und meine Bilderrahmen, mein Geschirr und meine Fotoalben, den kitschigen Swarowski-Delphin (ein Geschenk), meine Wassergläser aus Marokko und die Bettwäsche aus Großtantes Aussteuerdamast. Allerdings werden all meine schönen Habseligkeiten voraussichtlich in eine Bleibe auf dem Standard meiner ersten Studentenjahre einziehen. Nach Inflation dann für eher 400 Euro als 400 DM. Ich war also auf der Suche nach einem Dach über dem Lotterbett zum Lesen für mich und dem Schreibtisch für mein virtuelles Wohnzimmer, und das war gar nicht einfach. Bei Mietpreisen wie in der Frankfurter City habe ich mich rasch von der Vorstellung verabschiedet, mehr als dreißig Quadratmeter anzustreben. Ich wollte: einen Balkon oder eine separate Küche (für den gesellschaftsverträglichen Konsum meines liebsten Lasters). Holz oder Laminat. Zentrale Lage. Maximal 700 CHF. Und bitte: irgendwas mit Charme, Persönlichkeit, Kuschelfaktor.
Die erste Wohnung war teuer und düster. Wenn schon Souterrain und getäfelte Decken, kann man die nicht wenigstens weißen? Der Reiz der Terrasse nach draußen wurde gemindert durch die übervollen Biotonnen gleich nebendran. Die zweite hatte die Größe eines Schuhkartons (für Sandalen, nicht für Stiefel), Küchenzeile mittendrin und auch die Option, den alten Kleiderschrank im Waschkeller nebenan mitnutzen zu dürfen für eigene Kleidung, machte dieses Angebot nicht attraktiver. Die nächste Wohnung, äußerst zentral gelegen gleich über dem innerstädtischen Waffen- und Militarialaden und mit Fenster zur Hauptstraße, begeisterte mich gleichermaßen wenig, auch wenn der dort residierende junge Mann mit seinen sonderbaren Ohrringen und engen Lederhosen eine interessante Bekanntschaft war. Der nächste Termin, für den ich extra um 18 Uhr abends noch mal den Berg hinabgeklettert war (und folglich später wieder hinaufklettern mußte) tauchte nicht auf – die Lage inmitten etlicher Geschäfte des multikulturellen Einzelhandels und allerlei fragwürdiger Lokalitäten schien aber ohnehin nicht wünschenswert, so daß ich nur mäßig enttäuscht war.
Beim nächsten Termin waren die Fotos im Internet durchaus vielversprechend, ein verwinkeltes Zimmerchen mit halb Balkon halb verglastem Wintergarten in idealer Lage, leider tauchte hier die Schlüsselinhaberin nicht auf. Beim Folgetermin stellte ich fest: die Fotos gehörten zu einer anderen Wohnung im selben Haus. Wie frech kann man als Makler eigentlich sein? Immerhin habe ich dafür ein Waschbecken gesehen, das man aufgrund der Platzbegrenzung zwischen über-der-Badewanne und über-der-Toilette an einer Schiene bewegen kann. Äußerst praktisch, das.
Dann gab es noch die Dame, die über Tage am Telefon nicht erreichbar war, und am Sonntag Abend um 17h00, als ich endlich Erfolg hatte, zu brüllen anhub: „SIE! An einem Sonntag! Was erlauben Sie sich..., das ist ja...“ Sie lesen richtig, ich wurde am Telefon wie ein Schulmädel runtergeputzt. Ich nehme an, nach meiner Beschwerde beim Makler wird ihr jemand etwas über korrektes Verhalten während der Nachmietersuche und Nichterreichbarkeit beibringen, ich für mein Teil werde nie wieder Schweizer am Sonntag anrufen, nicht einmal in äußerster Not. Ich verspreche es.
Das einzige nicht ganz und gar schreckliche Objekt bisher war die Wohnung in einem Riesenblock aus den 60er Jahren, sehr gepflegt mit den gleichen kleinen schwarzen Klingelschildchen, Briefkastenschildchen und putzigen – ebenfalls identischen – bunten Teppichen vor allen Türen, im 9. Obergeschoß im Beinahe-Penthouse. Das insofern, als der Balkon über die Länge des Zimmers nach oben offen war, wunderbar hell, freundlich, sonnig. Ansonsten leider eher funktional und unpersönlich, aber auf halbwegs durchdachte Weise mit Einbauschränken und dergleichen praktischen Details. Nach Abarbeitung meiner letzte Woche erstellten Liste sah ich mich bereits die nächsten drei Jahre in einem vernünftigen Kompromiß-Schuhkarton zwischen schwedischen Standardmöbeln sitzen, die Traumwohnung, die einen beim ersten Blick vereinnahmt und sagt „nimm mich, ich bin perfekt trotz aller Makel“ war nicht dabei. Bis heute. Das schmalbrüstige, zu beiden Seiten von größeren Bauten eingequetschte Fachwerkhäuschen war ein Geheimtipp von Freunden, unter der Hand - was mal wieder bestätigt, daß die schönen Objekte eben nicht im Internet zu finden sind. Eine schauerlich schiefe, schmale Treppe ins Obergeschoß, eine geradezu ausufernd üppige Küchenzeile mit einer kleinen Theke und zwei Barhockern, die mich an die typischen Provinz-Pizzerien meiner Kindheit im siebziger Jahre Stil erinnerten. Außerdem Parkett und freiliegende Trägerbalken. Kein Balkon, kein Trockenkeller, die Küche im Raum, keine lange Fensterfront, sondern Butzenscheiben – aber: die ist es. Das wußte ich eigentlich sofort oder jedenfalls nach fünf Minuten, aber sicherheitshalber und aus Verantwortungsbewußtsein habe ich um eine Nacht Bedenkzeit gebeten. Ich ahne, daß ich mit zu großen Möbeln und zu wenig Platz kämpfen werde, nichts wird passen, ich werde fluchen, wenn meine Blusen das Bad wie ein orientalisches Zelt zuhängen werden, während ich eine Küche dieser Dimension nie nutzen werde, und dennoch: ich weiß, daß ich mich dort Zuhause fühlen werde und das ist das Wichtigste. Mission erfüllt.
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Berge ohne Rodeln
Schon an meiner Alma Mater im süddeutschen Raum habe ich die Berge gehasst und verflucht. Ich erinnere mich noch an den Tag meiner Wohnungssuche, bergauf, bergab, über einen Berg hinüber, und wieder zurück, bergauf, bergab, den ganzen Tag. Am Folgenden hatte ich dann - ungelogen! - tatsächlich Muskelkater, da wo andere einen Knackhintern haben. Mit der Zeit wurde es besser, man gewöhnt sich an vieles. Das hier jedoch - ist viel schlimmer. Auf dem einen Berg die Uni, auf dem anderen die Wohngebiete und dazwischen das soziale Leben. Jede Tüte Milch, jedes Glas Wein mit Kommilitonen, jedes vergessene Buch in der Uni bedeuten Training für den Allerwertesten. Ich noch im Zweifel ob die Anlage der Stadt - sie nimmt lange, gewundene Straßen und gibt dem Fußgänger lange Treppen - wirklich ein Segen ist. Gefühlt besteige ich (manchmal mehrmals am Tag) den Kölner Dom, um nach Hause respektive ins Büro zu kommen. Gestern Abend mit einem Kommilitonen zusammen aufgestiegen, der forsch voranschritt. Als unsere Wege sich trennten, war ich kurz vorm Zusammenbruch, länger hätte ich sein Tempo wahrhaftig nicht durchhalten können. Milchtüten und andere Lebensmittel, die sich im Supermarkt noch überschaubar schwer anfühlen, gewinnen mit jedem Schritt ein paar Gramm und jede weitere Stufe scheint etwas steiler als die Vorige - es ist ein Alptraum. Einkäufe plane ich inzwischen vorausschauend und treppenweg-minimierend. Aufrecht hält mich einzig die Aussicht, durch diese Qualen vielleicht irgendwann in den Club derer Eintritt zu finden, die eine dekorative, knackige Rückseite haben. Daran ziehe ich mich hoch, Tag für Tag, Stufe für Stufe, Schritt für Schritt. Ächz.
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Moderne Elitessen...
... aus der Sicht einer abgehalferten Elitesse. Ich bin ja eine Frau und da gehört es gewissermaßen zur Stellenbeschreibung, gelegentlich eine Runde zu lästern. Das ist besonders gut fürs Ego, wenn man - aus beklagenswerter Unwissenheiten in wesentlichen Fachbereichen - in einer Bachelor-Vorlesung mit lauter Kindern sitzt und sich danach entsetzlich alt fühlt. Hätte ich im Alter von 13 oder 14 Jahren schon den Vater meiner Kinder gekannt und daraus Konsequenzen gezogen, die lieben Kommilitonen und Kommilitoninnen könnten tatsächlich beinahe mein Nachwuchs sein. Entsprechend kritisch wandern die Blicke in der Runde der U-förmig aufgestellten Tische über mich hinweg, zu mir zurück, verharren kurz neugierig, und weiter, wahrscheinlich fragen die sich, ob die alten Leute jetzt schon zum Sterben in die Uni kommen. Beschämenderweise sieht sogar der Dozent kaum älter aus als ich. Mich tröstet allein der Gedanke, daß ich immerhin schon den Job habe, den der ein oder andere hier irgendwann gerne hätte.
Anfangs bin ich – ungelogen – die einzige Frau im Kurs, aber mit etwas Verspätung treffen drei Mademoisellen ein, schieben sich ohne sichtbare Verlegenheit an den schmalen Sitzreihen vorbei und gruppieren sich um mich herum, eine zu meiner Linken, zwei zu meiner Rechten. Die moderne Elitesse von heute trägt nicht unbedingt Perlenohrringe, Pashminaschals, und Longchamptäschchen, sondern kleidet sich modisch, vorbildlich orientiert an Supermodels aus Modezeitschriften, die ich nicht lese. Jeans und Ugg-Boots (das sind diese Fellstiefel, in denen auch der zarteste Mädchenfuß wie ein Rheinkahn aussieht) gehören zur Grundausstattung. Außerdem ist es offenbar so, daß die Beine keinesfalls dicker sein dürfen, als meine Arme und Augenbrauen zupft man wieder so schmal, daß die Haare einzeln zählbar sind.
Das Fräulein zur Linken trägt außerdem ein T-Shirt von Lacoste, eine Jacke von Dolce und Gabbana, eine Handtasche von Dior und eine Uhr von Nina Ricci. Ihre Freundin auf meiner anderen Seite (ich sitze sehr ungünstig, so in der Mitte, denn ich unterbinde durch meine bloße Präsenz beinahe jede Unterhaltung) trägt ein Shirt von Burberry, eine Uhr von Omega mit so vielen Glitzersteinchen, daß ich auch Stunden später noch leicht geblendet bin und eine Jacke von Girbaud. Das Mädel ganz außen war etwas weniger demonstrativ mit Modemarken behängt, aber die Uhr – kein Zweifel, für sowas habe ich ein gutes Auge – kam auch nicht aus dem Kaugummiautomaten, ebensowenig wie die restliche Bekleidung. Das ist aber noch nicht alles. Die moderne Elitesse kann es sich nicht nur erlauben, zu spät zu kommen ohne Reue (ich hingegen würde leuchtend rot wie eine Tomate in solchen Momenten und wollte vor Scham im Boden versinken), sie hat es auch nicht nötig, Notizen zu machen und kann es sich sogar leisten, auf dem neuen Handy mit Touch-Screen e-Mails zu schreiben und Kontakt zu ihren Freunden bei StudiVZ zu halten. Als ich meine, die Clichés seien kaum mehr steigerungsfähig, holt Miss D&G tatsächlich ein kleines Handspiegelchen aus ihrem Dior Täschchen und prüft, ob ihre Wimpern (!) sich noch hübsch nach oben biegen.
Habe ich mich jetzt angehört, wie eine neidische, verbitterte, alte Schachtel? Dann war ich jedenfalls sehr authentisch, denn genauso habe ich mich heute gefühlt. Immerhin: der Dozent sieht keine Notwendigkeit, mich als Senioren-Gasthörer in die wöchentlichen Präsentationen einzubinden. Ein Lichtblick.
Anfangs bin ich – ungelogen – die einzige Frau im Kurs, aber mit etwas Verspätung treffen drei Mademoisellen ein, schieben sich ohne sichtbare Verlegenheit an den schmalen Sitzreihen vorbei und gruppieren sich um mich herum, eine zu meiner Linken, zwei zu meiner Rechten. Die moderne Elitesse von heute trägt nicht unbedingt Perlenohrringe, Pashminaschals, und Longchamptäschchen, sondern kleidet sich modisch, vorbildlich orientiert an Supermodels aus Modezeitschriften, die ich nicht lese. Jeans und Ugg-Boots (das sind diese Fellstiefel, in denen auch der zarteste Mädchenfuß wie ein Rheinkahn aussieht) gehören zur Grundausstattung. Außerdem ist es offenbar so, daß die Beine keinesfalls dicker sein dürfen, als meine Arme und Augenbrauen zupft man wieder so schmal, daß die Haare einzeln zählbar sind.
Das Fräulein zur Linken trägt außerdem ein T-Shirt von Lacoste, eine Jacke von Dolce und Gabbana, eine Handtasche von Dior und eine Uhr von Nina Ricci. Ihre Freundin auf meiner anderen Seite (ich sitze sehr ungünstig, so in der Mitte, denn ich unterbinde durch meine bloße Präsenz beinahe jede Unterhaltung) trägt ein Shirt von Burberry, eine Uhr von Omega mit so vielen Glitzersteinchen, daß ich auch Stunden später noch leicht geblendet bin und eine Jacke von Girbaud. Das Mädel ganz außen war etwas weniger demonstrativ mit Modemarken behängt, aber die Uhr – kein Zweifel, für sowas habe ich ein gutes Auge – kam auch nicht aus dem Kaugummiautomaten, ebensowenig wie die restliche Bekleidung. Das ist aber noch nicht alles. Die moderne Elitesse kann es sich nicht nur erlauben, zu spät zu kommen ohne Reue (ich hingegen würde leuchtend rot wie eine Tomate in solchen Momenten und wollte vor Scham im Boden versinken), sie hat es auch nicht nötig, Notizen zu machen und kann es sich sogar leisten, auf dem neuen Handy mit Touch-Screen e-Mails zu schreiben und Kontakt zu ihren Freunden bei StudiVZ zu halten. Als ich meine, die Clichés seien kaum mehr steigerungsfähig, holt Miss D&G tatsächlich ein kleines Handspiegelchen aus ihrem Dior Täschchen und prüft, ob ihre Wimpern (!) sich noch hübsch nach oben biegen.
Habe ich mich jetzt angehört, wie eine neidische, verbitterte, alte Schachtel? Dann war ich jedenfalls sehr authentisch, denn genauso habe ich mich heute gefühlt. Immerhin: der Dozent sieht keine Notwendigkeit, mich als Senioren-Gasthörer in die wöchentlichen Präsentationen einzubinden. Ein Lichtblick.
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