Freitag, 13. März 2009
Respekt, bitte
Wann darf man andere Menschen als Dreck bezeichnen? Ich habe ich mich heute gefragt, welcher Gesprächston eigentlich angemessen ist. Anlass: Ich bin erschüttert über die Gesprächs(un)kultur, die mir in einigen Foren begegnet, von milder Herablassung bin hin zu wilder Polemik.
Eigentlich verdient - so dachte ich immer - jeder Mensch grundsätzlich Respekt, auch wenn ich andere Meinungen nicht teile oder sogar als völlig schwachsinnig abqualifizieren möchte. Dem Streit in der Sache tut aber doch der Tonfall keinen Abbruch. Beklagenswert hingegen finde ich die Herablassung, mit der einige Teilnehmer diskutieren.

Ich gebe zu, ich bin innerlich geteilt. Einerseits würde ich Personen von herausragender Bildung, anerkennenswerten Leistungen oder besonderer Integrität durchaus ein gewisses Mass an Stolz auf die eigene Person zugestehen - man kann auch sagen: ein bisschen gesunder und verdienter Snobismus ist für mich in Ordnung. Andererseits leben wir in einer Zeit, in der man nur noch schwer sagen kann, wer unverschuldet unmündig ist und wer seine Unmündigkeit in Bildungsfragen selbst zu verantworten hat. Und wer bin ich, dieses Urteil fällen zu wollen, indem ich mich über andere erhebe und über ihre mangelnde Bildung, mangelndes Wissen oder fehlerhafte Rechtschreibung zu richten versuche? Selbst wenn ich mir denn in Sachfragen sicher bin, der einzig wahren Wahrheit teilhaftig geworden zu sein, und alle anderen nachweislich Unsinn von sich geben - habe ich dann das Recht, diese Personen herablassend zu behandeln? Fraglos kann ich mich durch Unwissenheit in der Sache als Gesprächspartner disqualifizieren, fraglos darf man Menschen eines besseren zu belehren versuchen - aber ist Herablassung eine angemessene Attitude für solche Belehrungen?

Ich bin ein grosser Freund der Kontroverse, auch gerne in deutlichen Worten. Ich kann mich mit meiner Familie oder guten Freunden streiten wie die Kesselflicker und würde viele dieser Auseinandersetzungen nicht missen wollen - allerdings ruhen diese auf dem soliden Fundament des gegenseitgen Respekts, der sich gerade im Wesen der Freundschaft und der grundsätzlichen Zuneigung manifestiert. Solange beide um die gegenseitige Wertschätzung wissen, kann man auch verbale Ausrutscher verzeihen, weil sie gerade nicht die Respektsversagung implizieren.

Anders doch wohl im Internet, wo die gemeinsame Basis regelmässig fehlt. Sollte ich mich da nicht ganz ausdrücklich eines Tonfalls befleissigen, der es an Respekt nicht mangeln lässt? Mir arrogante, niedermachende Andeutungen ersparen, meine Worte bedachtsam wählen und fiktive oder anonymisierte Namen nicht ironisch-bösartig verballhornen? Im normalen Leben bemühe ich mich doch auch, mir Namen zu merken und Menschen korrekt zu adressieren - mehr noch: ich schäme mich, wenn ich den Namen verwechsele, vergesse oder verdrehe. Warum also im Internet diese verbale Inkontinenz, bei der plötzlich alles erlaubt ist? Schulde ich nicht allen anderen Menschen, ohne Ansehung ihrer Bildung oder Rechtschreibung Respekt? Und wo endet der, wenn ich angegriffen werde? Anders gesagt: wenn jemand sich mir gegenüber respektlos verhält, verwirkt er damit den Anspruch auf meinen Respekt? Daraus könnte ich dann aber folgern, dass man grundsätzlich den Anspruch auf Würde verwirken kann - mit allen daraus folgenden Abgrenzungsproblemen.
Kann ich aufhören, einen Vorstandsvorsitzenden zu respektieren, weil er Gelder seiner Firma veruntreut hat? Müsste ich dann aber nicht auch konsequent jeden Mitarbeiter verachten, der sich Papier oder Kugelschreiber seiner Firma zum privaten Gebrauch aneignet? Wo sind hier die Grenzen zu ziehen?
Ich fürchte, in meinen Ansichten hoffnunungslos naiv und anachronistisch zu sein - vielleicht greife ich auch in meinen Kategorien zu hoch, indem ich den Tonfall eines Gesprächs in eine Linie stelle mit Respekt und Menschenwürde, aber ich sehe in derlei Petitessen im Internet den Untergang der Respektskultur - wenn auch in sehr kleinem Masstab.

[Edit: Nein, ich werde meinen eigenen Ansprüchen oft nicht gerecht - aber immerhin registriere ich meine Fehlleistungen gelegentlich von alleine, bin offen für Kritik und bemühe mich darum, andere nicht leichtfertig zu verurteilen. Und wenn es mir auffällt, schäme ich mich. Immerhin ein Anfang.]

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Crimemap
Ein neues gruseliges Detail aus meinem Leben als Washingtonienne hat sich mir heute erschlossen. Wie schon berichtet lebe ich nicht gerade in der allerfeinsten Gegend der Kapitale. Viele Häuser werden gerade renoviert, viele sind aber auch optisch wenig ansprechend, kurz: "partially gentrified". Gestern war ich zum Abendessen bei Freunden eingeladen, die in einer sehr braven Gegend residieren (wobei ich deren Fußweg zur U-Bahn bzw. Arbeit nicht eintauschen möchte) und habe gelernt, daß die Polizei in Washington einen grandiosen Service bietet. Man kann nämlich nach Eingabe seiner Adresse anzeigen lassen, wieviele Verbrechen im näheren Umkreis in der Vergangenheit begangen wurden - als Statistik oder als Landkarte. Auf der Karte sind dann die Verbrechen als kleine rote Figürchen gezeigt, die grauslig verrenkt auf der Straße liegen. Diese wunderbare Seite liefert ermutigende Ergebnisse. Im vergangenen Jahr wurde im Umkreis von 400 Metern zwei Morde begangen, eine Vergewaltigung, zwölf harmlose Überfälle ohne und nur drei mit Handfeuerwaffe. Außerdem sieben weitere Überfälle diverser Art und - inklusive Diebstähle und Einbrüche, 125 Straftaten. Vielleicht sollte ich in Zukunft doch nicht mehr abends in verwegener Sorglosigkeit zu Fuß nach Hause laufen.

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