Tag 17 – Augen zu und irgendein Buch aus dem Regal nehmen
In der zehnten Klasse hatten wir im Deutschunterricht eine Stunde immer erst nach dem Mittagessen. Alle Schüler waren müde vom Vormittag, etwas satt von der Bratwurst in der Stadt und hatten keine rechte Lust auf Schule, daher entschied unser Lehrer, in jenem Halbjahr die Buchvorstellung einzuführen. Jeder sollte im Laufe der Zeit wenigstens ein Buch seinen Mitschülern vorstellen, um Erfahrung im Vortragen zu bekommen und um die tote Zeit bestmöglich zu nutzen. Im Laufe jenes Jahres bat er mich (mich!), für ihn "Sophies Welt" vorzustellen, ich fühlte mich sehr geehrt und tat es natürlich gerne. Davor jedoch, und das dürfte der Auslöser für die ehrenvolle Pflichtaufgabe gewesen sein, hatte ich bereits ein Buch meiner Wahl vorgestellt. Oder besser: ein Buch, das ich mit meinem Vater ausgesucht hatte.
Keine Ahnung, wie wir darauf kamen, wir verbrachten einen Abend vorm Bücherregal und am Ende wurde es "Die Auferstehung" von Tolstoi. Ich muß wahnsinnig gewesen sein, sowas mit fünfzehn zu lesen, die Mitschüler waren wenig amüsiert und noch weniger beeindruckt (der Deutschlehrer schon). Von meiner Erzfeindin (heute meine beste Freundin) fing ich mir bittere Sticheleien ein, in denen das Wort "Streber" oft vorkam. Erstaunlicherweise jedoch ist es die Auferstehung - im Gegensatz zu manch anderer Lektüre aus jener Zeit - in Erinnerung geblieben und vor allem legte das Buch den Grundstein für die Zukunft und begründete meine Liebe zu Tolstoi.
Ein Jahr später ging ich für zehn Monate nach Amerika und mußte zum ersten Mal Bücher für längere Zeit gezielt packen, um Unterhaltung, Bildung und Gewicht möglichst optimal zu kombinieren. Mittlerweile bin ich Profi darin, den perfekten Mix im Koffer unterzubringen, für beliebige Zeiträume zwischen 2 Wochen und 4 Monaten, damals jedoch war ich Anfängerin und überlegte endlos lang. Trotzdem entschied ich, "Krieg und Frieden" einzupacken.
Es war die Ausgabe meines Vaters, ein riesiger roter Leinenwälzer mit tausenden Seiten von diesem besonders dünnen Papier. Die ersten Monate nach meiner Ankunft im tiefsten Süden der USA lag es in der Ecke, während ich Burgerläden, Supermalls und die riesige High-School erkundete, gegen Weihnachten jedoch wurde es mein Höhepunkt eines jeden Tages. Ich war voll des Heimwehs, die Situation mit meiner Gastfamilie hatte sich nicht gerade zu unser aller Vorteil entwickelt, mit dem besseren Englisch waren die Schulaufgaben nur noch langweilige Pflicht und vor allem hatte ich an den Wochenende plötzlich endlos Zeit: meine Gastschwester hatte nämlich zu arbeiten begonnen. Folglich blieb ich von Freitag Abend bis Montag Morgen allzuoft auf das Haus beschränkt (kein Auto=kein Fortkommen) und so brauchte ich keine drei Wochen, um Tolstois Mammutwerk durchzulesen. Diese drei Wochen jedoch waren die schönsten in jener eher trostlosen Vorweihnachtszeit: fünf Tage Vorfreude auf die abendliche Lektüre im Bett und noch mehr Vorfreude auf ein ganzes Wochenende lesen, ohne Pausen.
Einige Jahre später, ich hatte die schöne Ausgabe meines Vaters längst zurückgegeben, kaufte ich dann meine eigene, nach ausführlichen Diskussionen mit meinem alten Deutschlehrer selbstverständlich von Bergengruen. Und selbstverständlich habe ich es danach noch einmal gelesen - und nicht zum letzten Mal. Die jedenfalls habe ich gerade aus dem Regal gezogen.
Ich wünschte, er könnte das hier lesen, um zu wissen, was für ein grandioser Lehrer er mir war und wie sehr er mein Leben geprägt hat. Auch wenn ich es ihm bei jedem Wiedersehen sage.
Keine Ahnung, wie wir darauf kamen, wir verbrachten einen Abend vorm Bücherregal und am Ende wurde es "Die Auferstehung" von Tolstoi. Ich muß wahnsinnig gewesen sein, sowas mit fünfzehn zu lesen, die Mitschüler waren wenig amüsiert und noch weniger beeindruckt (der Deutschlehrer schon). Von meiner Erzfeindin (heute meine beste Freundin) fing ich mir bittere Sticheleien ein, in denen das Wort "Streber" oft vorkam. Erstaunlicherweise jedoch ist es die Auferstehung - im Gegensatz zu manch anderer Lektüre aus jener Zeit - in Erinnerung geblieben und vor allem legte das Buch den Grundstein für die Zukunft und begründete meine Liebe zu Tolstoi.
Ein Jahr später ging ich für zehn Monate nach Amerika und mußte zum ersten Mal Bücher für längere Zeit gezielt packen, um Unterhaltung, Bildung und Gewicht möglichst optimal zu kombinieren. Mittlerweile bin ich Profi darin, den perfekten Mix im Koffer unterzubringen, für beliebige Zeiträume zwischen 2 Wochen und 4 Monaten, damals jedoch war ich Anfängerin und überlegte endlos lang. Trotzdem entschied ich, "Krieg und Frieden" einzupacken.
Es war die Ausgabe meines Vaters, ein riesiger roter Leinenwälzer mit tausenden Seiten von diesem besonders dünnen Papier. Die ersten Monate nach meiner Ankunft im tiefsten Süden der USA lag es in der Ecke, während ich Burgerläden, Supermalls und die riesige High-School erkundete, gegen Weihnachten jedoch wurde es mein Höhepunkt eines jeden Tages. Ich war voll des Heimwehs, die Situation mit meiner Gastfamilie hatte sich nicht gerade zu unser aller Vorteil entwickelt, mit dem besseren Englisch waren die Schulaufgaben nur noch langweilige Pflicht und vor allem hatte ich an den Wochenende plötzlich endlos Zeit: meine Gastschwester hatte nämlich zu arbeiten begonnen. Folglich blieb ich von Freitag Abend bis Montag Morgen allzuoft auf das Haus beschränkt (kein Auto=kein Fortkommen) und so brauchte ich keine drei Wochen, um Tolstois Mammutwerk durchzulesen. Diese drei Wochen jedoch waren die schönsten in jener eher trostlosen Vorweihnachtszeit: fünf Tage Vorfreude auf die abendliche Lektüre im Bett und noch mehr Vorfreude auf ein ganzes Wochenende lesen, ohne Pausen.
Einige Jahre später, ich hatte die schöne Ausgabe meines Vaters längst zurückgegeben, kaufte ich dann meine eigene, nach ausführlichen Diskussionen mit meinem alten Deutschlehrer selbstverständlich von Bergengruen. Und selbstverständlich habe ich es danach noch einmal gelesen - und nicht zum letzten Mal. Die jedenfalls habe ich gerade aus dem Regal gezogen.
Ich wünschte, er könnte das hier lesen, um zu wissen, was für ein grandioser Lehrer er mir war und wie sehr er mein Leben geprägt hat. Auch wenn ich es ihm bei jedem Wiedersehen sage.