Montag, 5. Oktober 2009
Abenteuer im Aufzug
Der Samstag versprache ein reichlich ereignisloser Tag zu werden. Ich habe den Tag auf der Terrasse verbracht, gearbeitet, und ein Buch gelesen. Normalerweise ist es ja eine hübsche Ausrede, wenn Leute sagen: hach, ich lese so gerne, aber leider fehlt mir die Zeit dazu...., aber ich hatte in den vergangenen vier Wochen wirklich einfach keine ruhige Minute, umso schöner war es an diesem Wochenende zwei ganze Bücher zu lesen und ein drittes anzufangen. Der Arbeitsmoral wenig zuträglich, aber schön. Ich habe mir außerdem einen Sonnenbrand geholt – wer konnte auch ahnen, daß zwanzig Minuten in der prallen Sonne und ein Nachmittag im Schatten solche Wirkung zeigen würde?
Während ich mich dem Schlendrian hingab, wurde unten im Restaurant eine Hochzeit gefeiert (alle Leute, die komisch aussehen, tanzen gerade, unten im Bild außerdem die Band, die uns jeden Freitag und Samstag mit kongolesischer Musik beglückt und der Grill, dessen verführerische Rauchschwaden mich dazu bringen, öfter den Kühlschrank zu frequentieren, als meiner Figur gut tut).



Andere Leute hingegen arbeiten und sorgen dafür, daß in ferner Zukunft Geländewagen keine absolute Notwendigkeit in diesem Land sein werden.



Falls sich überhaupt hier irgendwann der motorisierte Transport durchsetzt.



Der Abend hielt jedoch noch eine völlig unerwartete Überraschung für mich bereit. Für meine geschätzten Leser ist mir kein Abenteuer zu unberechenbar und nach all den langweiligen Berichten über das kongolesische Geschäftsleben, Äußerlichkeiten und Business-Etikette habe ich mich gestern in nachgerade tödliche Gefahr begeben, um etwas Interessantes berichten zu können.
Ich habe ja schon an andere Stelle von den Eigenheiten des Aufzugs in unserem Haus berichtet. Dazu muß man wissen: es gibt im Haus drei Aufzüge, alle schon etwas betagt, derjenige mit dem Aussehen eines Lastenaufzugs hat noch nie funktioniert und seit ungefähr vier Wochen ist einer der anderen beiden dauerhaft ausgefallen.
Die Aufzüge haben kleine, runde, schwarze Knöpfe und können sich immer nur eine Etage merken. Wenn man den Aufzug betritt, zieht man die Tür hinter sich zu. Wenn diese komplett verschlossen ist, geht das Licht aus, dann kann man die gewünschte Etage anwählen, das Licht geht wieder an und der Aufzug setzt sich in Bewegung. Eine innenliegende Tür gibt es nicht, man fährt also direkt an den Betonwänden des Aufzugschachts vorbei, auf denen die Nummern der Etagen aufgemalt sind. Sind mehrer Nachbarn mit verschiedenen Ausstiegswünschen im Aufzug, spricht man sich ab, derjenige, der im untersten Geschoß wohnt, gibt zuerst seinen Wunsch an, denn wenn man erst die sieben und dann die vier anwählt, fährt der Aufzug direkt in die siebte Etage.
Schon immer war es so, daß der Aufzug theoretisch bis in die achte Etage fahren kann, praktisch jedoch dort dann steckenbleibt und nichts mehr geht, bis die Wachen mit einem Spezialschlüssel kommen und das Ding reparieren. Seit gestern weiß ich, daß der Aufzug sich noch eine weitere Macke angeeignet hat.
Ich wollte abends gegen neun Uhr mit einem kongolesischen Freund spontan noch ein Bier trinken gehen, er war schon unterwegs, ich in Eile und als ich im Aufzug stand und schon das Erdgeschoß angewählt hatte, packte mich meine Tür-Abschließ-Paranoia und ich wollte noch einmal hochfahren. Bisher war es so, daß man in diesem Fall den Stopp-Knopf drücken konnte, der Aufzug hielt an und man konnte neu wählen. Auch dies leider inzwischen nur noch theoretisch, praktisch hielt der Aufzug gestern abend zwischen der sechsten und siebten Etage an, danach rührte er sich nicht mehr. Die Tür der siebten Etage war noch in Sicht, ließ sich aber nicht mehr öffnen, ansonsten Betonschacht um mich herum. Ich habe einen Moment überlegt, meinen Mitbewohner konnte ich nicht anrufen, da der ja sein Handy verloren hatte, von den Wachen unten fehlte mir die Telefonnummer und im Treppenhaus rührte sich niemand, den ich um Hilfe hätte bitten können. Ich habe also den Freund angerufen, der mich abholen wollte und gebeten, die Wachen über meine Notlage zu informieren. Mit mir eingeschlossen etliche Mücken und zwei sechsbeinige Krabbelviecher und jedes Mal, wenn ich mich bewegte, schwankte der Aufzug leicht an seinen Trägerseilen hin und her. Ich gebe zu: ich hatte Angst. Sieben Etage können ziemlich tief sein und der Aufzug – an dessen Zuverlässigkeit ich bislang nie ernsthafte Zweifel gehegt hatte, schien mir plötzlich weit weniger solide. Einen kurzen Moment habe ich überlegt, meine Mama nzurufen und mich wenigstens noch zu verabschieden, aber das schien mir doch zu albern. Dann habe ich nachgedacht, wen ich zur Unterhaltung anrufen könnte. Auch das kam mir irgendwie lächerlich vor und so viele gute Freunde habe ich hier eben doch noch nicht. Dem Impuls, eine Zigarette zu rauchen, stand meine deutsche Regelhörigkiet entgegen und nach zehn endlosen Minuten kam der Wachmann und löste die Aufzugsperre. Anfangs tat sich nichts, nur die Lichter gingen aus und ich war endgültig überzeugt, mein letztes Stündlein habe geschlagen, aber dann setzte er sich doch in Bewegung und eine Minute später hatte das Leben mich wieder. Meine Auferstehung von den beinahe Toten haben wir dann im Quartier Bon Marché mit einem Bier begossen.

Permalink (8 Kommentare)   Kommentieren