Samstag, 24. Oktober 2009
Caf'conc
Gestern war ich feudal essen. Meine ehemalige Vorgesetzte ist heute morgen wieder abgereist, ein weiterer – ebenfalls französischer – Kollege macht sich selbständig und hatte daher ebenfalls Anlaß zum feiern, mit von der Partie außerdem ein gemeinsamer kongolesischer Freund. In der Gesellschaft zweier Franzosen konnte es ja nur ein großartiges Essen werden, im teuersten Restaurant der Stadt. Von außen eher schäbig und im Umbau begriffen, wurde man drinnen von der gediegensten und unprätentiösesten Restaurant-Atmosphäre umfangen, die ich bisher in Kinshasa erlebt habe. Klassisch gedeckte Tische, schlichte Stühle, Weinflaschen dekorativ in Glasvitrinen und in Paneelen eingelassenen Holzregalen, sonst keine weitere Dekoration. Im Gegensatz zu den meisten Restaurants hier (oft draußen), die deutlich vermitteln, man befinde sich vor allem der Gesellschaft und der Nahrungsaufnahme wegen dort, verkündete der ganze Raum im Caf'conc: hier wird gespeist, nicht gegessen, wir sind nicht zum Spaß hier, sondern für ernsthaften kulinarischen Genuß. Wir nahmen Platz in einer Ecke mit Sofas und gepolsterten Hockern, gleichzeitig mit den Hors d’oevre vom Haus kam der Champagner. Mittags um eins. Ich tauschte mein Häppchen mit Creme gegen ein zweites Sushi-Stück mit dem lieben F. – nachdem ich mit herzerweichender Demonstrativität verkündet hatte, dies sei mein erstes Sushi seit fünf Monaten.
Die Speisekarten wurden gereicht und hätte meine Kollegin nicht vorab verkündet, sie lade uns alle ein, ich hätte einen fürchterlichen Schreck bekommen. Vorspeisen um zwanzig Dollar, Hauptgerichte um vierzig Dollar – im Mittel, wohlgemerkt –, Desserts elf bis dreizehn Dollar. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich noch zwei Mal überlegt, ob ein Hauptgericht für mehr als zehn Euro ohne jeden besonderen Anlaß wirklich notwendig ist (und es im Zweifelsfall gelassen). Jetzt nickte ich zustimmend, als F. kommentierte, die Desserts seien verhältnismäßig günstig. Waren sie ja auch, verglichen mit den Hauptgerichten. Stoischer Gleichmut hilft nicht nur im Umgang mit Kakerlaken und Stromausfällen, sondern auch im Angesicht der Speiskarten hier und ihren Preisen. Wäre ich nicht eingeladen gewesen, ich hätte mich dennoch nicht anders verhalten. Am Ende nahmen alle auf Drängen der Gastgeberin ein dreigängiges Menü für ungefähr siebzig Dollar Paketpreis, wir zogen um an den Tisch, jemand suchte Wein aus. Nach einem weiteren Sushi-Teilchen vom Haus kam die Vorspeise und meine Kombination beinhaltete Froschschenkel gegrillt, Shrimps in Estragon-Champignon-Sauce und eine Jakobsmuschel in Zitronen-Dill-Sauce. Sehr fein. Während die Kollegen Fisch – den hier unvermeidlichen Capitaine - auf Linsen bekamen, hatte ich Kalbsfilet und Rinderfilet an zweierlei Saucen. Daneben ein kleines Türmchen wunderbares Gratin Dauphinois und – eine Sensation – Gemüse in Knoblauchbutter geschwenkt. Unbedingt nachkochen, wenn ich wieder zu Hause bin. Beim Dessert sah ich voller Vorfreude der kleinen Schokoldatentarte entgegen, die in der Dreier-Variation angekündigt wurde, am besten war allerdings ein Türmchen aus Cognac-getränkter Ananas, Karamellplättchen und Vanillecreme. Die Käsevariation der Kollegin sah ebenfalls delikat aus: Crêpe mit Gorgonzola gefüllt, Ziegenkäse auf Salatblatt und ein Stück Hartkäse mit Obst. Die Dessertpralinen vom Haus ließen wir für die Kollegen im Büro einpacken. Von der Unterhaltung bei Tisch bekam ich nur die Hälfte mit, zuschnell zuviel Französisch, aber ich war ja auch mit Essen beschäftigt.

Am bemerkenswertesten fand ich jedoch, daß ich überhaupt dabei sein durfte. Ich habe mit meiner ex-Chefin zwei Wochen zusammengelebt in ihrem Haus, wir haben viel unternommen im Juli und August, aber uns kaum jemals über Privates unterhalten. Ich weiß nichts über ihre Familie, ihre Träume, ob es ihr in dem neuen Job gefällt oder nicht. In den zwei Wochen, die sie jetzt auf Dienstreise hier war, habe ich wenig von ihr gesehen und war entsprechend erfreut, als sie Mittagessen mit Freunden vorschlug. Für mich hätte es allerdings auch ein Sandwich in der Patisserie Nouvelle getan. Wenn ich mich erinnere, wie nachdrücklich sie sich dafür eingesetzt hat, daß ich überhaupt im Juli hier anfangen konnte (und wieviel Zeit sie in Kämpfen mit dem bürokratischen Monster unseres Arbeitgebers um meinetwillen verbracht haben muß), wie sehr sie mir geholfen hat, damit ich bleiben kann bis Dezember, wie sie sich jetzt bemüht, mir fürs nächste Jahr eine neue Aufgabe zu finden, bin ich überwältigt von so viel unbedingter Freundlichkeit, die sie mich doch kaum kennt. Keine Ahnung, womit ich das verdient habe. Gar nicht zu reden davon, daß sie mich in den ersten drei gemeinsamen Wochen hier perfekt in die internationale Expat-Gemeinschaft eingeführt hat und außerdem wiederholt bei gemeinsamen Abendessen Rechnungen zu meinen Gunsten abgerundet hat – zu Lasten ihres persönlichen Einkommens.

Ich erlebe immer wieder Situationen, in denen ich überrascht bin, wie wenig Menschen bereit sind etwas zu tun, um anderen zu helfen – selbst wenn es sie nichts kostet. Aus Nachlässigkeit, mangelnder Nachdenklichkeit, Egoismus.... ich weiß es nicht. Diese Kollegin hingegen – ebenso wie einige andere Bekannte hier – war so großherzig, bemüht und hilfsbereit, daß ich immer wieder erstaunt bin. In krassem Kontrast dazu war ich letzte Woche einmal mit zwei Kollegen aus Amerika essen. Wir haben alle gleichermaßen anständige Gehälter und inzwischen muß mich niemand mehr aus Mitleid einladen – trotzdem fand ich es bezeichnend, daß ich, die ich mit Abstand das bescheidenste Gericht hatte, auf dem größten Teil der Rechnung sitzenblieb. Ebenso übrigens am vergangenen Wochenende, als ich für die ganze Gesellschaft Chips und Kuchen zum Überbrücken der Wartezeit gekauft hatte. Jene Kollegen, die anboten, die Kosten zu teilen, waren beide in Afrika stationiert, während die amerikanischen Gäste sich nicht einmal bedankten. Wobei es streng genommen mit der Nationalität nichts zu tun haben kann, denn von den „Afrikanern“ ist eine Französin und der andere Amerikaner, während die „Amerikaner“ einen kanadischen, holländischen und türkischen Pass haben. Ich kann nur vermuten, daß es entweder Zufall ist, oder eben doch Menschen, die ganz bewußt ein Leben im Hottentottenland wählen, irgendwie anders ticken und einfach netter und verbindlicher sind. Finden Sie das zu gewagt? Ich habe ja noch ein paar Wochen, meine These zu verifizieren.

Permalink (2 Kommentare)   Kommentieren