Donnerstag, 22. Oktober 2009
Patchwork
[Gestern Abend] Alles gut an der Hottentottenfront. Ich sitze mit einem Tonic auf meiner Terrasse, in der Ferne zucken Blitze über Brazzaville, man hört das Gewitter nicht, sonder sieht nur – im Blitzlicht auch die Wolkenberge, denn sonst ist der Himmel pechschwarz. Der ältliche Chef mit Faible für die Tanzfläche ist abgereist und hat mir Berge von Arbeit hinterlassen, die mich fast zur Verzweiflung treiben. Statt des einen langsamen Chefs habe ich jetzt zwei schnelle, kein endloses Warten mehr, dafür Streß und Termindruck. Immerhin ist einer von meiner Arbeit so begeistert, daß er mich tatsächlich auf eine Plantage in der Mitte von Nirgendwo schicken möchte, allerdings stehen zwischen mir und dem Abenteuer meines Lebens Sicherheitsbedenken, Transportschwierigkeiten und die Zustimmung des von uns Auge gefaßten Gastgebers, der noch nichts von seinem Glück weiß.
Kinshasa ist schöner denn je und wer genau hinschaut, versteht, warum es früher Kinshasa La Belle hieß – heute sagt man Kinshasa La Poubelle (Mülleimer). Ich bin jedes Mal fasziniert von neuen Details der Aussicht aufs andere Flußufer. Es ist jetzt unverkennbar Sommer und Platitüden wie die Sonne brennt bekommen eine neue Bedeutung. Um vier Uhr nachmittags habe ich einen Kaffee auf die Terrasse mitgenommen – die zweitbeste Option nach Mittagsschlaf – und fühlte, wie die Sonne auf der Haut tatsächlich prickelte. Ich konnte geradezu spüren, wie ich braun werde, mit jeder Sekunde etwas mehr. Die Sicht ist klarer denn je, ich habe grüne Gipfel im Rücken von Brazzaville entdeckt, die Bäume auf der Insel im Fluß hoben sich gestochen scharf ab, das Wasser spiegelte den blauen Himmel und schimmerte so freundlich. Mit ungefähr elf Jahren, frisch auf dem Gymnasium, beklagte ich mich bei meinen Eltern, daß die Lehrer seit zwei Jahren schon immer schlechter an die Tafel schrieben, aber jetzt im Gymnasium sei es wirklich ganz schlimm geworden, gar nicht mehr so ordentlich wie in der Grundschule. Ich wurde zum Augenarzt spediert, bekam meine erste Brille und ich werde nie vergessen, wie ich in meinem Zimmer stand und voller Verwunderung die einzelnen Blütenblätter im Geranientopf unserer Nachbarn gegenüber anstaunte: eine neue Welt eröffnete sich meinen kurzsichtigen Augen. So ungefähr war es heute auch.

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