Samstag, 10. Oktober 2009
100 km - eine Weltreise
Ich glaube, das Schicksal möchte mir einen französischen Juristen an die Hand geben. Gestern Abend habe ich endlich den schönen Franzosen wiedergesehen beim Abendessen – schon seit Mittwoch wieder da, aber mir bis dahin noch nicht unter die Augen gekommen. Und bei meinem heutigen Termin bin ich gleich dem nächsten über den Weg gelaufen. Wirklich, hätte ich gewußt, daß mein Gesprächspartner ein so fescher junger Mann ist, hätte ich mir heute morgen mehr Mühe gegeben. Da ich nicht recht wußte, was mich an einem Samstag in einer Fabrik erwarten würde, hatte ich mich für schwarze Shorts mit Bügelfalte, ein graues Strickoberteil und flache Mokassins entschieden, war außerdem nach zwei Stunden Fahrt ohne Klimaanlage (vermaledeite Mietwagenfirma!) völlig durch und nicht gerade eine Zierde der holden Weiblichkeit. Mein Gesprächspartner hingegen sprang sportlich in reichlich kurzen (!) Shorts, Polo-Shirt und robusten Timberlands aus seinem Truck, sehr braungebrannt, sehr lockige Haare mit einem Zick-Zack-Haarreifen zurückgehalten – das fände ich normalerweise ganz fürchterlich, aber in Kombination mit dem markanten Gesicht und dem sportlichen Auftreten wirkte es authentisch und keineswegs feminin. Nein, wahrhaftig, ein schicker Mann, und etwa in meinem Alter. Aber das konnte ich einfach nicht wissen, als ich heute morgen um acht aufgebrochen bin. Mein Fahrer war etwas zu spät, aber noch war die Straße stadtauswärts Richtung Flughafen frei. Mein kongolesischer Freund und Kollege, der am Vortag vollmundig seine Begleitung angekündigt hatte, versetzte mich und so war ich alleine unterwegs, bewaffnet mit zwei kleinen Wasserflaschen und zwei kleinen Waffeln (genug, um mit dem Fahrer zu teilen). Die erste halbe Stunde bewegten wir uns durch belebte Stadtteile von Kinshasa, die man wohl noch zum urbanen Zentrum zählen darf – auch wenn urban hier anders aussieht als in Berlin oder London. Die nächste knappe halbe Stunde waren die Häuser Hütten zunehmend spärlicher gesät, die grünen oder leeren Brachen dazwischen immer häufiger, die Straße immer leerer und die letzte halbe Stunde lag rechts und links nur noch wilde Landschaft mit gelegentlichen Hüttenansammlungen um einen kleinen Platz herum. In der Mitte des Platzes steht immer ein Baum, einige Stände oder Waren auf wackeligen Brettern oder einfach einer Plane auf der Erde ausgelegt und viele untätige Menschen. In losem Umkreis einige Hütten, Wellblech, Spanplatten, Pappe und Tücher, immer öfter auch unbehauene Äste und Riedgrasdächer. Die Landschaft ist trist, grau-braune Steppe, rotbraune Erde, manchmal grün-braunes Gras dazwischen, grün-graue Bäume – das einzige schöne ist der Himmel, der seit neuestem vor allem morgens von einem leuchtenden, schimmernden, strahlenden Zartblau ist, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe. Nicht das intensive, fast grelle Blau des nordafrikanischen Sommers, nicht das freundliche kontinentaleuropablau eines Sonnentages, nicht das norddeutsche blaßblau, das einem an guten Tagen zuteil wird, sondern anders. Ein bißchen so, als hätte jemand Perlmuttglanz mit in die Farbe gemischt, der alles strahlen läßt.
Die Straße – unser Rezeptionist: Cette une bonne route! war ein Slalomparcours aus zentimetertiefen Schlaglöchern, an den Rändern manchmal über einen Meter Länge tief weggebrochen, an Fahrbahnmarkierungen war nicht zu denken, aber mein Fahrer schaffte es bis auf 140 km/h zu beschleunigen und trotzdem allen Hindernissen auszuweichen. Wir passierten einige Straßenschwellen mit großzügiger Polizeipräsenz und ich bedauerte, das wenige Meter weiter halb auf der Straße stehende Buswrack nicht fotografieren zu können. Immer wieder Menschen am Wegrand, Frauen mit Verkaufsgut, Säcken, Lebensmitteln, Männer mit Holz oder Kohle auf dem Kopf, manche mit einer Plastiktüte in der Hand – alle nach einer Mitfahrgelegenheit Ausschau haltend. Bei einer Frau mit kleinem Kind auf der Hüfte hätte ich fast den Fahrer gebeten, anzuhalten, aber da fegten wir schon mit 100 km/h an ihr vorbei.

Dem Ziel schon näher als der Kapitale, eröffnete sich uns plötzliche eine fantastische Aussicht. Ich bin wahrhaftig nicht nah am Wasser gebaut, aber die Aussicht über geschwungene Hügel hinweg auf den majestätischen Fluß und die urwaldgrünen Berge auf der anderen Seite in Congo-Brazzaville war atemberaubend und trieb mir die Tränen in die Augen. Weil dieses Land so unglaublich schön sein kann.

Störend waren allenfalls die für mein Empfinden zu kurz geratenen Masten der Überlandleitungen mitten im Panorama. Ich habe auf der Rückfahrt auch den Stanley Malebo-Pool gesehen, ein Becken wo der Kongo besonders breit ist, ich habe unzählige Menschen am Straßenrand gesehen, Schiffe und Baumstammboote auf dem Fluß, das alte – reichlich verfallene – Feriendomizil von Mobutu, mehr zusammengebrochene Autos mit einem Paar Beine drunter (Reparatur), als ich zählen konnte und am Ende ein 7000 Seelen Dorf. Schätzung des schönen Franzosen Nummer zwei. Er war sehr freundlich, hat mir großer Geduld alle meine Fragen beantwortet, immer neue Unterlagen herangeschafft, mir danach eine kurze Führung über das Gelände angedeihen lassen und sich auch sonst sehr bemüht. Allerdings frage ich mich: was macht ein junger Mann in den besten Jahren, der in einem afrikanischen Kaff in der Mitte von Nirgendwo sitzt, den ganzen Tag? Außer den direkten Kollegen – und das können nicht mehr als ein oder zwei Dutzend sein – wüßte ich nicht, was der Ort an Arbeitsmöglichkeiten für ein gehobenes Ausbildungsniveau bieten sollte, und angesichts der hierarchischen Strukturen wird er wohl abends nicht mit seinen Arbeitern Bier trinken auf dem Marktplatz. Außerdem kein Kino, kein Supermarkt, die Sportmöglichkeiten dürften auch sehr eingeschränkt sein – ich denke mir, daß man dafür schon sehr genügsam sein muß. Leider konnte ich ihn schlecht fragen, ob er mich zur Abwechslung mal in Kinshasa zum Essen ausführen möchte – neugierig wäre ich ja schon gewesen.

Interessant war es jedenfalls, früher als erwartet bin ich wieder daheim und werde mich bis zum Abendessen mit den Kollegen damit befassen, meine Notizen und Aufzeichnungen zu sortieren. Dabei kann ich sogar auf der Terrasse sitzen und an meinem Sommerteint arbeiten.
Ansonsten: hier einige Fotos, bevor ich vergebens nach Worten suche, die die Realität doch nie wiedergeben könnten. Krokodile leider keine gesichtet, nicht von außen und noch weniger von innen. Vielleicht beim nächsten Mal – meine Kollegen wollen mich nächste Woche nach Matadi schicken.









Ich bedauere die schlechte Qualität aber ich kann keine 4 MB Bilder über UMTS hochladen.



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