Dienstag, 13. Oktober 2009
Wunschliste
Wenn alles gut läuft, macht das Leben in Abenteuerland Spaß. Für die gelegentlichen Unannehmlichkeiten wird man mit all den skurrilen Erlebnissen und interessanten Bekanntschaften reichlich entschädigt und insgesamt ist das Ärgernisse auch wert. Manchmal allerdings türmen sich die kleinen Probleme und Sorgen himmelhoch und abends ist man einfach nur noch frustriert und erschöpft.
Sonntag hatten wir den ganzen Tag kein Wasser, mein Fahrer kam zu spät, endlose Meetings im Büro, um fünf wurde es dunkel und begann orkanartig zu stürmen, ich bin nach Hause geeilt, um die Balkontür zu schließen, der Aufzug war kaputt und ich bin acht Etage rauf und wieder runter gesprintet. Mein Feuerzeug war hinüber, ein neues nur schwer aufzutreiben, beim Einkaufen hatte ich nur wenig Geld dabei und mußte sorgfältig rechnen (gar nicht so einfach, wenn die Preise in Francs ausgezeichnet sind aber in Dollar bezahlt wird). Montag morgen hatte ich aus völlig unerfindlichen Gründen einen neuen Fahrer – seine Erklärungen waren umständlich und kompliziert und ich habe sie nicht verstanden –, ich fürchte, daß ein Kollege kein ausschließlich kollegiales Interesse an mir hat und es ist leider nicht der schöne Franzose. Ein Meeting zog sich endlos hin, das Büro ist so überfüllt, daß ich morgen keinen Schreibtisch mehr habe, die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz gestaltet sich schwierig, ein anderes Meeting mußten wir auf der Terrasse abhalten, weil alle anderen Besprechungsräume belegt waren, von den Kollegen kümmerte sich niemand um Getränke, meine Höflichkeit gegenüber den Gästen reduzierte mich gefühlt von der Kollegin zur Praktikantin. Nach Einbruch der Dunkelheit wurde ich von Mücken belagert, auf der Terrasse bei uns zu Hause Käfer-Attacke. Ich war so fertig, daß ich beim ersten Anblick der Viecher – die ich da noch für Kakerlaken hielt – einen hysterischen Anfall bekam, wo man hintritt KäferKäferKäfer, die Straße ein Käferfriedhof, bis ins Bad sind sie vorgedrungen, und zu guter Letzt rief der schöne Franzose an und verkündete, er reise aus administrativen Gründen schon Freitag wieder ab. Trotz langatmiger Erklärungen seiner Gründe wollte er aber kein Bier mehr mit mir trinken gehen und ich werde mich wohl von all meinen romantischen Hoffnungen verabschieden müssen. Keinesfalls werde ich deshalb nachts vor Trauer in mein Kissen weinen, so weit ist es mit mir noch nicht, aber ein kleiner Flirt belebt den Alltag ganz ungemein.

Wie nett wäre es, wenn ich morgen den schönen Franzosen Nummer Zwei anrufe und sich daraus etwas ergibt. Nach Durchsicht meiner Aufzeichnungen von Samstag habe ich reichlich Fragen – lies: Gründe zum anrufen – und werde ihn außerdem bitten, meine Aufstellung der Daten gegenzulesen. Ich stelle mir vor, daß ich über Nacht nicht nur besser Französisch spreche, sondern auf wundersame Weise die Fähigkeit zum subtilen Flirt über mich kommen wird – gleichsam im Doppelpack. Ich werde mich bei diesem Telefonat nicht wie sonst mühsam durch die Sätze kämpfen und drei Mal nachfragen müssen, um den Sinn der Antworten erraten zu können, sondern einige überaus intelligente und kluge Fragen stellen, die Zeugnis von meiner herausragenden Auffassungsgabe ablegen. Dabei auch noch witzig sein und dem Gespräch eine leichte Note jenseits der geschäftlichen Formalien geben können. Wie es das Schicksal wollen wird, wird der zweite schöne Franzose ohnehin zum Ende der Woche für einige Termine nach Kinshasa kommen und mir anbieten, man könne sich noch einmal zusammensetzen. In meinem unglaublich überladenen Terminkalender ist dafür gerade noch Platz und wir werden uns für, sagen wir, Donnerstag Spätnachmittag verabreden. Ich werde mich richtig aufrüschen und überaus smart und elegant aussehen, diesmal ganz Zierde der holden Weiblichkeit. Er wird auch gut aussehen, vielleicht einen guten Anzug tragen und auf jeden Fall sehr gute Schuhe, und wir werden uns – dank meiner über Nacht erworbenen Eloquenz in Französisch – fantastisch verstehen und komplizierte Dinge bereden. Beiläufig werden wir darauf zu sprechen kommen, wie das Leben im Niemandsland im Vergleich zur Hauptstadt ist, daß er gelegentlich in Kinshasa ist, aber nicht allzu oft, daß er nicht viele Leute hier kennt, aber doch übers Wochenende bleiben wird. Die Einladung zu einem gemeinsamen Abendessen wird sich ganz selbstverständlich daraus ergeben und damit ist mein Abend hübsch geplant. Franzose Nummer eins hingegen wird vor Enttäuschung in sein Kissen beißen, wenn er mich eine Stunde später ebenfalls nach der Abendplanung fragt und ich vergeben bin, wird bitterlich enttäuscht sein und sich seine Zögerlichkeit nie im Leben verzeihen. Mit dem schönen Franzosen Nummer Zwei hingegen – der ein Glückspilz ist, daß er mit mir ausgehen darf – werde ich zum Beispiel ins Fleur du Sel gehen, weil es nicht zu groß und hübsch zu sitzen ist. Außerdem kann man zu fortgeschrittener Stunde an die Bar wechseln und dort beinahe vergessen, in Afrika zu sein. Jemand, der mehr oder minder alleine in der Mitte von Nirgendwo lebt, ist sicherlich sehr belesen und gebildet und wir werden uns fantastisch über Bücher, Politik und das Leben in Afrika austauschen. Das Essen wird wunderbar sein, aber lange dauern, und am Ende wird genug Vertrautheit da sein, um ein Dessert zu teilen. Beiläufig werden wir eine Mousse au Chocolat löffeln, beiläufig und ohne Gier, aber doch mit Genuß, und uns über Afrika und dieses großartige Land mit seinen unzähligen Problemen austauschen, und unser gemeinsames Faible für ein Leben jenseits von Paris und Berlin, und danach noch auf einen Absacker an die Bar wechseln. An einem Donnerstag wird die Bar ziemlich voll sein und wir werden an einem engen Ecktisch landen, wo man so nah beieinander sitzt, daß sich die Beine gelegentlich berühren, wenn man das Gewicht verlagert. Männer wie er trinken vermutlich einen Whisky oder Cognac, während ich einen Martini oder Amaretto nehme. Ich glaube, er raucht ebenfalls und das eröffnet weitere Möglichkeiten. Sich Feuer geben zu lassen ist immer ein wunderbarer Anknüpfungspunkt: beim ersten Mal vermeidet man die Berührung der Hände beinahe noch, aber irgendwann wird man mutiger und es sind diese Kleinigkeiten, die einen solchen Abend aufregend machen und die subtile Verständigung über die Absichten des anderen ermöglichen.
Meine gelegentlich schrägen Formulierungen und mein leichter Akzent – denn mehr als den werde ich bei einem solchen Anlaß nicht haben – werden keinesfalls inkompetent und dumm wirken, sondern charmant und niedlich. Überhaupt werde ich den ganzen Abend äußerst charmant und unterhaltsam sein – aber nicht zu sehr, sondern auch eine außerordentlich aufmerksame und interessierte Zuhörerin, Männer brauchen das – und am Ende des Abends, zu sehr fortgeschrittener Stunde, wird er mir völlig verfallen sein. Ich ihm ebenso. Da ich eine Dame bin und kein leichtes Mädchen, wird der Abend zu diesem Zeitpunkt enden, aber irgendwann zwischendurch wird mein kongolesischer Freund D. angerufen haben, um ausgehen in größerer Gruppe für Freitag vorzuschlagen und natürlich, herzlich gerne, darf ich den Franzosen Nummer Zwei mitbringen. Damit ist gesichert, daß sich weitere Treffen ergeben werden und so kann ich an diesem ersten Rendez-vous glücklich nach Hause gehen und von den unendlichen Möglichkeiten träumen, die das Leben manchmal bereit hält, wenn man es am wenigsten erwartet.
Schicksal, das wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, um in mein Leben einzugreifen. Und wenn ich schon den Mann meines Lebens und Vater meiner Kinder nicht bekommen kann, dann wünsche ich mir bitte wenigstens einen anständigen Schreibtisch für morgen.

Permalink (4 Kommentare)   Kommentieren