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Kolonial-Chauvinismus
Das großartige an diesem Land ist, daß kaum ein Tag ohne bemerkenswerte, erzählenswerte, aufschreibenswerte Ereignisse vergeht. Manchmal gutes, manchmal schlechtes, und manchmal beides. Selbst wenn ich abends heimkomme und denke Das war’s, Tag vorbei. werde ich oft eines Besseren belehrt.
Ich hatte noch nie in meinem Leben einen Schwimmbad-Flirt. Vermutlich, weil ich mich in meiner Jugend selten in Schwimmbädern aufgehalten habe. Auf Handtüchern liegend habe ich noch nie bella figura gemacht, schon mit dreizehn hätte ich vor lauter Kurzsichtigkeit meinen Handtuchnachbarn kaum noch erkennen können, gleißendes Sonnenlicht auf Buchseiten fand ich schon immer störend, kurz: mich fand man eher in einer ruhigen Ecke des Hauses mit einem Buch als bei fröhlichen Tändeleien mit der Dorfjugend im Freibad. Gestern abend jedoch war ich schwimmen und das bescherte mir den ersten Freibad-Flirt meines Lebens. Ich liebe das Wasser, das sich im Dunkeln immer anders anfühlt als tagsüber, die Ruhe, ein paar Gäste im Restaurant auf der Terrasse und das Becken mit spiegelglattem Wasser ganz für mich allein. Nach einigen Minuten bekam ich gestern Gesellschaft, mein Nachbar auf Bahn Zwei kraulte fleißig, kraulte zielstrebig auf mich zu, als ich mein Soll erfüllt hatte und noch einen Moment am Beckenrad lehnte. You’ve got quite a stamina - das hört Mademoiselle natürlich immer gerne. Er übrigens auch nicht schlecht, trotz meiner Kurzsichtigkeit nach meinem Dafürhalten ganz eindeutig sehr bella figura. Wir wechselten zwei Sätze, aber ich war nicht in Stimmung für Flirts mit gutgebauten Indern aus der MONUC Truppe, beim nächsten Mal vielleicht.
Mich drückte nämlich mein Gewissen, das mich zu so später Stunde noch ins Wasser getrieben hatte. Ich habe nämlich gestern meinen Fahrer gefeuert, der mich wiederum um acht Uhr abends, als sein Arbeitgeber ihm das mitteilte, anrief. Anrief und umgehend auflegte, gleich Bitte um Rückruf. Was ich natürlich tat, wenn ich schon nachmittags weder den Mut noch die Gelegenheit gefunden hatte, ihm meine Gründe persönlich darzulegen. Ich habe versucht, mich am Telefon zu erklären, habe mich wortreich entschuldigt, irgendwann herrschte betretenes Schweigen auf beiden Seiten und er legte abschiedslos auf. Danach brauchte ich Bewegung, um meine Gedanken zu sortieren und meinem schlechten Gewissen davonzuschwimmen.
Die Angelegenheit hat natürlich eine Vorgeschichte. In meinem Telefonbuch sind beinahe mehr Taxifahrer und Chauffeure gespeichert als Freunde, ich verfüge über einen entsprechend breiten Erfahrungsschatz mit Herren, die für die Formel 1 trainieren, launischen Diven und begriffsstutzigen Schnarchnasen und hatte – zugegebenermaßen – eine gewisse Erwartungshaltung, als ich am Montag die Bekanntschaft meines ersten eigenen Mietwagen-Chauffeurs machte. Grundsätzlich sind die Chauffeure, die gewissermaßen mit dem Mietwagen zusammen von der Mietwagen-Firma gestellt werden, arme Schweine. Obwohl sie sich im Vergleich mit der Mehrheit der Kongolesen glücklich schätzen können ob ihres festen Jobs und sicheren Einkommens, ist das Leben nicht einfach. Fahrer wohnen meist weit außerhalb der Innenstadt und brauchen gerne ein oder zwei Stunden für die Anfahrt zur Zentrale der Leihwagenfirma. Wenn sie den Kunden morgens um acht im Hotel – oder mich an meiner Wohnung – abholen sollen, müssen sie folglich um sechs aufstehen. Den ganzen Tag bringen sie damit zu, den Kunden herumzukutschieren über lausige Straßen, die ein großes Maß an Kunstfertigkeit erfordern, um mit normalen Limousinen heile durch eimertiefe Schlaglöcher und über waldwegwürdige Schotterpisten zu kommen. Zwischendurch warten sie auf Parkplätzen und in Seitenstraßen, dösen, schlafen, plauschen miteinander und müssen stets auf Zuruf zur Verfügung stehen, dann aber bitte hopp-hopp auf Wunsch des Kunden. An ganz argen Tagen hat es die Polizei auf die weißen Reichen oder reichen Weißen abgesehen, dann benimmt sich ein guter Fahrer wie der Secret Service, gibt Gas und liefert den Kunden so schnell wie möglich im Hotel oder Büro ab, wo sich andere der Verwicklungen annehmen können. Weniger kluge Fahrer öffnen die Fenster ein weniges zu weit, der Polizist greift durchs Fenster und sitzt schneller im Auto als eine Kakerlake laufen kann. Ein Polizist im Auto wiederum ist eine Katastrophe, denn ohne Bestechung steigt er nicht aus, man muß sich also entscheiden: Prinzipien oder endloser Ärger.
Vor sieben hört bei uns niemand auf zu arbeiten, folglich sind Fahrer bestenfalls um acht oder neun daheim, schlimmstenfalls – wenn der Kunde noch zum Abendessen verabredet ist oder mit Kollegen ein Bier trinken möchte - wird es deutlich später. Irgendwann nach neun Uhr abends lohnt es sich für sie nicht mehr, den langen Heimweg mit diversen Minibussen und Schwarztaxis anzutreten, dann schlafen sie auf dem Parkplatz der Leihwagenfirma im Auto. An solchen Tagen ist es angemessen, den Fahrern zehn Dollar Trinkgeld zu geben und am nächsten Morgen kann man sie dabei beobachten, wie sie sich in einer Ecke des Parkplatzes in einer Pause den Oberkörper waschen, vielleicht ein frisches Hemd aus dem Kofferraum holen. Chauffeure arbeiten mindestens Montags bis Samstags, verantwortungsbewußte – und lokalkundige – Kollegen geben ihnen wenigstens einen Tag pro Woche frei. Andererseits kommt ein großzügiges Trinkgeld unter Umständen durchaus gelegen, vor allem dann, wenn sie von ihrer Firma nicht pünktlich bezahlt werden – auch das leider keine Seltenheit. Obwohl sie insgesamt zu den wirtschaftlich Bessergestellten im Lande gehören, sind sie arm – einer meiner vielen geliehenen Fahrer verwickelte sich vor einigen Wochen in Diskussionen mit Polizisten und die fünf Dollar Bestechung, die es zur Problemlösung gebraucht hätte, waren jenseits seiner Möglichkeiten.
Alle Fahrer, deren Bekanntschaft ich bislang machen durfte, mochte ich gerne, ich mag ihre Geschichten, lerne gerne über ihren Alltag und ihre Sorgen, ich habe Mitgefühl mit ihrem alltäglichen Kampf ums Überleben in dieser strengen Stadt, ich gebe anständiges Trinkgeld, vor allem wenn sie mißmutig sind – in der Hoffnung, daß ich ihnen das Leben damit etwas leichter machen kann. Mein erster eigener Fahrer N. entpuppte sich jedoch im Verlauf der Woche als Katastrophe.
Das libanesische Restaurant, in dem ich am Montag mit einem Kollegen Mittag essen wollte, kannte er nicht. Obwohl es eine der bescheideneren Adressen der Stadt ist – Chawarma für drei Euro – und von Expatriates wie auch der kongolesischen Mittelschicht gleichermaßen gerne frequentiert wird, befindet es sich ohne Frage weit außerhalb seiner finanziellen Reichweite, ich hatte Verständnis. Er fragte seine Kollegen und die Wachen nach dem Weg und einmal in der richtigen Straße wußte ich selbst, wo ich hinwollte. Die Bank, zu der ich danach mußte, kannte er auch nicht. Weder den Geldautomaten am Supermarkt Hasson & Frères, eine Institution die eigentlich jeder, wirklich jeder kennt, noch das Stammhaus der Bank in der Innenstadt. Ich kannte den Weg und dirigierte ihn zum Automaten auf der Rückseite des Gebäudes. Wir waren auf der falschen Straßenseite, aber schön, ich stieg aus, kletterte über Unrat auf dem Mittelstreifen hinweg, drückte mich an einer Frau vorbei, die in einer Plastikschüssel Teller wusch, stakste mit meinen feinen Schühchen über den Schotter der Straße. Automat defekt. Ich kämpfte mich zurück zum Auto und lotste ihn zum Automaten in der Parallelstraße am Haupteingang. Reihte mich dort in die lange Schlange der Wartenden ein. Statt nun – wie es die übrigen Fahrer der Vergangenheit gemacht hätten – in der Wartezeit einen Parkplatz in meiner Nähe zu suchen, wartete er hundert Meter die Straße hinunter. Als ich wieder ins Auto stieg war ich zu entnervt, ihn eines Besseren zu belehren.
Am nächsten Tag hatte ich diverse Termine, mit und ohne Gesellschaft meiner Kollegen. Jedes Mal parkte der Fahrer unmäßig weit weg vom Eingang, nie kannte er die Adresse. Wenn ich im Wagen auf meine Kollegen warten wollte, parkte er in der prallen Sonne. Wenn ich mit meinen Kollegen telefonieren wollte, mußte ich ihn erst bitten, die Musik leiser zu stellen. Die Klimaanlage lief, aber die weitgeöffneten Fenster konterkarierten die Bemühungen (abgesehen davon, daß man nie mit offenen Fenstern fährt, um Polizisten und Passanten keine Aufdringlichkeiten zu ermöglichen). Auch bei einem zweiten Termin – ein neuer Tag, aber dasselbe Gebäude – nahm er nicht den schnellsten Weg, sondern den simpelsten. Kurz: mein Fahrer hatte von der Stadt und den relevanten Adressen nicht die leiseste Ahnung. Pünktlich, ja, freundlich, ja, sehr bemüht, auch das – aber wenig wendig. Bestätigt wurde ich in meiner Einschätzung gestern Mittag von Kollegen, die es nach einem gemeinsamen Termin vorzogen, in den Wagen ihres eigenen Fahrers zu wechseln statt weiter mit meinem Neuling Schnitzeljagd zu spielen. Und dazu muß man sagen: auch deren Fahrer ist nicht gerade ein leuchtender Stern am Himmel seiner Zunft, sondern eher mißmutig und etwas schwer von Begriff.
Ich habe längst begriffen, daß deutsche Vorstellungen von effizientem Verhalten, sinnvollem Zeitmanagement und einem Minimum an Planung hier nicht realistisch sind und man mit derartigen Wünschen vor die Wand läuft in einem Land, in dem Zeit und Aufwand anders bewertet werden. Aber ein Fahrer, der sich nicht auskennt, ist eine unendliche Pein. Ich habe Samstag einen Termin außerhalb der Stadt im Umland, habe nächste Woche diverse Termine an Orten und in Gebäuden, die ich nicht kenne, und ich war es irgendwann leid, immer zehn Minuten extra einplanen zu müssen, um meinem Fahrer Gelegenheit zu geben, vor Fahrtantritt Erkundigungen bei Kollegen für die ersten zwei Drittel der Strecke einzuholen und sich für das letzte Drittel bei Passanten durchfragen zu können. Hatte ich bis dahin noch gezögert, gab mir die spitze Anmerkung eines Kollegen, die Mietwagenfirma werde mehr als großzügig bezahlt und habe doch wohl die Pflicht, angemessen versierte und ortskundige Fahrer zu stellen, den Rest. Schweren Herzens und nicht ganz reinen Gewissens bat ich unseren Rezeptionisten, einen neuen Fahrer anzufordern. Ich habe meine Gründe ausführlich dargelegt, ich stand beim Gespräch mit der Mietwagenfirma daneben und habe dafür gesorgt, daß meine Zufriedenheit (abgesehen von der völligen Ortsunkenntnis) deutlich wurde, aber ich fühlte mich dennoch schlecht. Danach hatte ich nur noch kurz Gelegenheit, mit N. am Telefon zu sprechen, weil die Kollegen ihn ausgeliehen hatten und zu meiner Schande muß ich gestehen: ich hatte nicht den Mut, am Telefon die Karten auf den Tisch zu legen. Ich habe mich um die unangenehme Wahrheit gedrückt. Dafür bekam ich fairerweise gestern Abend die Rechnung in Form eines anklagenden Anrufs nach Feierabend, und hatte danach ein noch schlechteres Gewissen. Ich hätte es vielleicht der Anständigkeit halber mit N. selbst besprechen sollen – andererseits: was hätte es geändert? Ich hätte ihn bitten können, mich zukünftig am Eingang abzuholen statt hundert Meter über Schotterstraßen laufen zu lassen, ich hätte ihm erklären können, nicht den simpelsten sondern den schnellsten Weg zu nehmen, aber Ortskenntnis hätte ich ihm sicherlich nicht übers Wochenende beibringen können.
Ich befürchte, daß meine Sorge, ihn in Schwierigkeiten zu bringen, berechtigt war, ich schäme mich für den mangelnden Anstand, ihm meine Kritik direkt mitzuteilen und ich habe ein schlechtes Gewissen wegen alldem. Trotzdem bin ich froh, am Samstag nicht auf jemandem angewiesen zu sein, der so wenig mitdenkt und immerhin: das schlechte Gewissen trieb mich ins Wasser, und dort wurde mir der erste Freibad-Flirt meines Lebens zuteil, wenn auch nur kurz und folgenlos. Dieses Land ist wirklich immer für eine Überraschung gut.
[Edit:
Ich schäme mich immer noch. Wegen der Fahrer-Geschichte. Frau Arboretum hat natürlich recht: ich hätte es versuchen können und sollen. Ich habe allerlei gute Entschuldigungen für meine Entscheidung, um einen anderen Fahrer zu bitten: meine Arbeit ist kompliziert und bestenfalls eine Herausforderung (schlimmstenfalls eine Überforderung), ich selbst kenne die Stadt nicht und Verständnis für den Fahrer und seine Orientierungslosigkeit kostet Zeit, mein Arbeitgeber bezahlt für eine Dienstleistung, es ist nicht meine Aufgabe, Fahrer auszubilden oder als Versuchskaninchen zu fungieren, Kinshasa ist selbst unter den besten Umständen ein Abenteuer und ein guter, versierter Fahrer bedeutet zusätzliche Sicherheit in einem unberechenbaren Land. Das alles hat zu meiner Entscheidung beigetragen, aber ich fürchte fast, der Hauptgrund war ein anderer: ich war es leid. Und ich konnte es machen. Selbst mit den wirklich erfahrenen Fahrern ist es mühsam, komplexere Vorgänge als A nach B Strecken zu erklären. Nicht, weil sie dumm wären, sondern weil sie anders denken. Überlegungen wie: wen hole ich zuerst ab, welche Strecke ist praktisch, wie schiebe ich einen Einkauf dazwischen, wie koordiniere ich verschiedene Kollegen und Termine mit einem Fahrer, sind ihnen einfach fremd und man muß sorgfältig seine Planung erklären. Zeit ist hier noch kein Geld. Das ist in jedem Fall anstrengend und war mit N. noch viel anstrengender und ich war die Sorgen und Erklärungen und Verständnisprobleme leid. Es ist leicht, solche Entscheidungen hier durchzudrücken, man gewöhnt sich unglaublich schnell an die Position der Stärke, in der man hier zwangsläufig steht – es kostet nur einen Anruf, natürlich haben alle Kollegen Verständnis – ja, mich geradezu motiviert – und natürlich bekommt ein guter Kunde wie mein Arbeitgeber einen neuen Fahrer, wenn er das wünscht.
Jetzt fühle ich mich erbärmlich. Ich bin doch hier, weil ich glaube, daß meine Arbeit vielleicht ein kleines bißchen dazu beitragen kann, das Leben hier etwas erträglicher zu machen – und bin an meinen eigenen Ansprüchen viel schneller als erwartet kläglich gescheitert. Ich finde durchaus, daß man klein anfangen sollte und in diesem Fall hätte ich mehr darüber nachdenken sollen, welche Konsequenzen mein Handeln hat und weniger an mich denken sollen. Ich bin selbst überrascht, wie schnell man gedankenlos wird und sich korrumpieren läßt vom eigenen Wohlbefinden. Das war wahrhaftig keine moralische Glanzleistung, aber hoffentlich werde ich beim nächsten Mal mehr nachdenken und mich nicht wieder so schäbig verhalten.]
Ich hatte noch nie in meinem Leben einen Schwimmbad-Flirt. Vermutlich, weil ich mich in meiner Jugend selten in Schwimmbädern aufgehalten habe. Auf Handtüchern liegend habe ich noch nie bella figura gemacht, schon mit dreizehn hätte ich vor lauter Kurzsichtigkeit meinen Handtuchnachbarn kaum noch erkennen können, gleißendes Sonnenlicht auf Buchseiten fand ich schon immer störend, kurz: mich fand man eher in einer ruhigen Ecke des Hauses mit einem Buch als bei fröhlichen Tändeleien mit der Dorfjugend im Freibad. Gestern abend jedoch war ich schwimmen und das bescherte mir den ersten Freibad-Flirt meines Lebens. Ich liebe das Wasser, das sich im Dunkeln immer anders anfühlt als tagsüber, die Ruhe, ein paar Gäste im Restaurant auf der Terrasse und das Becken mit spiegelglattem Wasser ganz für mich allein. Nach einigen Minuten bekam ich gestern Gesellschaft, mein Nachbar auf Bahn Zwei kraulte fleißig, kraulte zielstrebig auf mich zu, als ich mein Soll erfüllt hatte und noch einen Moment am Beckenrad lehnte. You’ve got quite a stamina - das hört Mademoiselle natürlich immer gerne. Er übrigens auch nicht schlecht, trotz meiner Kurzsichtigkeit nach meinem Dafürhalten ganz eindeutig sehr bella figura. Wir wechselten zwei Sätze, aber ich war nicht in Stimmung für Flirts mit gutgebauten Indern aus der MONUC Truppe, beim nächsten Mal vielleicht.
Mich drückte nämlich mein Gewissen, das mich zu so später Stunde noch ins Wasser getrieben hatte. Ich habe nämlich gestern meinen Fahrer gefeuert, der mich wiederum um acht Uhr abends, als sein Arbeitgeber ihm das mitteilte, anrief. Anrief und umgehend auflegte, gleich Bitte um Rückruf. Was ich natürlich tat, wenn ich schon nachmittags weder den Mut noch die Gelegenheit gefunden hatte, ihm meine Gründe persönlich darzulegen. Ich habe versucht, mich am Telefon zu erklären, habe mich wortreich entschuldigt, irgendwann herrschte betretenes Schweigen auf beiden Seiten und er legte abschiedslos auf. Danach brauchte ich Bewegung, um meine Gedanken zu sortieren und meinem schlechten Gewissen davonzuschwimmen.
Die Angelegenheit hat natürlich eine Vorgeschichte. In meinem Telefonbuch sind beinahe mehr Taxifahrer und Chauffeure gespeichert als Freunde, ich verfüge über einen entsprechend breiten Erfahrungsschatz mit Herren, die für die Formel 1 trainieren, launischen Diven und begriffsstutzigen Schnarchnasen und hatte – zugegebenermaßen – eine gewisse Erwartungshaltung, als ich am Montag die Bekanntschaft meines ersten eigenen Mietwagen-Chauffeurs machte. Grundsätzlich sind die Chauffeure, die gewissermaßen mit dem Mietwagen zusammen von der Mietwagen-Firma gestellt werden, arme Schweine. Obwohl sie sich im Vergleich mit der Mehrheit der Kongolesen glücklich schätzen können ob ihres festen Jobs und sicheren Einkommens, ist das Leben nicht einfach. Fahrer wohnen meist weit außerhalb der Innenstadt und brauchen gerne ein oder zwei Stunden für die Anfahrt zur Zentrale der Leihwagenfirma. Wenn sie den Kunden morgens um acht im Hotel – oder mich an meiner Wohnung – abholen sollen, müssen sie folglich um sechs aufstehen. Den ganzen Tag bringen sie damit zu, den Kunden herumzukutschieren über lausige Straßen, die ein großes Maß an Kunstfertigkeit erfordern, um mit normalen Limousinen heile durch eimertiefe Schlaglöcher und über waldwegwürdige Schotterpisten zu kommen. Zwischendurch warten sie auf Parkplätzen und in Seitenstraßen, dösen, schlafen, plauschen miteinander und müssen stets auf Zuruf zur Verfügung stehen, dann aber bitte hopp-hopp auf Wunsch des Kunden. An ganz argen Tagen hat es die Polizei auf die weißen Reichen oder reichen Weißen abgesehen, dann benimmt sich ein guter Fahrer wie der Secret Service, gibt Gas und liefert den Kunden so schnell wie möglich im Hotel oder Büro ab, wo sich andere der Verwicklungen annehmen können. Weniger kluge Fahrer öffnen die Fenster ein weniges zu weit, der Polizist greift durchs Fenster und sitzt schneller im Auto als eine Kakerlake laufen kann. Ein Polizist im Auto wiederum ist eine Katastrophe, denn ohne Bestechung steigt er nicht aus, man muß sich also entscheiden: Prinzipien oder endloser Ärger.
Vor sieben hört bei uns niemand auf zu arbeiten, folglich sind Fahrer bestenfalls um acht oder neun daheim, schlimmstenfalls – wenn der Kunde noch zum Abendessen verabredet ist oder mit Kollegen ein Bier trinken möchte - wird es deutlich später. Irgendwann nach neun Uhr abends lohnt es sich für sie nicht mehr, den langen Heimweg mit diversen Minibussen und Schwarztaxis anzutreten, dann schlafen sie auf dem Parkplatz der Leihwagenfirma im Auto. An solchen Tagen ist es angemessen, den Fahrern zehn Dollar Trinkgeld zu geben und am nächsten Morgen kann man sie dabei beobachten, wie sie sich in einer Ecke des Parkplatzes in einer Pause den Oberkörper waschen, vielleicht ein frisches Hemd aus dem Kofferraum holen. Chauffeure arbeiten mindestens Montags bis Samstags, verantwortungsbewußte – und lokalkundige – Kollegen geben ihnen wenigstens einen Tag pro Woche frei. Andererseits kommt ein großzügiges Trinkgeld unter Umständen durchaus gelegen, vor allem dann, wenn sie von ihrer Firma nicht pünktlich bezahlt werden – auch das leider keine Seltenheit. Obwohl sie insgesamt zu den wirtschaftlich Bessergestellten im Lande gehören, sind sie arm – einer meiner vielen geliehenen Fahrer verwickelte sich vor einigen Wochen in Diskussionen mit Polizisten und die fünf Dollar Bestechung, die es zur Problemlösung gebraucht hätte, waren jenseits seiner Möglichkeiten.
Alle Fahrer, deren Bekanntschaft ich bislang machen durfte, mochte ich gerne, ich mag ihre Geschichten, lerne gerne über ihren Alltag und ihre Sorgen, ich habe Mitgefühl mit ihrem alltäglichen Kampf ums Überleben in dieser strengen Stadt, ich gebe anständiges Trinkgeld, vor allem wenn sie mißmutig sind – in der Hoffnung, daß ich ihnen das Leben damit etwas leichter machen kann. Mein erster eigener Fahrer N. entpuppte sich jedoch im Verlauf der Woche als Katastrophe.
Das libanesische Restaurant, in dem ich am Montag mit einem Kollegen Mittag essen wollte, kannte er nicht. Obwohl es eine der bescheideneren Adressen der Stadt ist – Chawarma für drei Euro – und von Expatriates wie auch der kongolesischen Mittelschicht gleichermaßen gerne frequentiert wird, befindet es sich ohne Frage weit außerhalb seiner finanziellen Reichweite, ich hatte Verständnis. Er fragte seine Kollegen und die Wachen nach dem Weg und einmal in der richtigen Straße wußte ich selbst, wo ich hinwollte. Die Bank, zu der ich danach mußte, kannte er auch nicht. Weder den Geldautomaten am Supermarkt Hasson & Frères, eine Institution die eigentlich jeder, wirklich jeder kennt, noch das Stammhaus der Bank in der Innenstadt. Ich kannte den Weg und dirigierte ihn zum Automaten auf der Rückseite des Gebäudes. Wir waren auf der falschen Straßenseite, aber schön, ich stieg aus, kletterte über Unrat auf dem Mittelstreifen hinweg, drückte mich an einer Frau vorbei, die in einer Plastikschüssel Teller wusch, stakste mit meinen feinen Schühchen über den Schotter der Straße. Automat defekt. Ich kämpfte mich zurück zum Auto und lotste ihn zum Automaten in der Parallelstraße am Haupteingang. Reihte mich dort in die lange Schlange der Wartenden ein. Statt nun – wie es die übrigen Fahrer der Vergangenheit gemacht hätten – in der Wartezeit einen Parkplatz in meiner Nähe zu suchen, wartete er hundert Meter die Straße hinunter. Als ich wieder ins Auto stieg war ich zu entnervt, ihn eines Besseren zu belehren.
Am nächsten Tag hatte ich diverse Termine, mit und ohne Gesellschaft meiner Kollegen. Jedes Mal parkte der Fahrer unmäßig weit weg vom Eingang, nie kannte er die Adresse. Wenn ich im Wagen auf meine Kollegen warten wollte, parkte er in der prallen Sonne. Wenn ich mit meinen Kollegen telefonieren wollte, mußte ich ihn erst bitten, die Musik leiser zu stellen. Die Klimaanlage lief, aber die weitgeöffneten Fenster konterkarierten die Bemühungen (abgesehen davon, daß man nie mit offenen Fenstern fährt, um Polizisten und Passanten keine Aufdringlichkeiten zu ermöglichen). Auch bei einem zweiten Termin – ein neuer Tag, aber dasselbe Gebäude – nahm er nicht den schnellsten Weg, sondern den simpelsten. Kurz: mein Fahrer hatte von der Stadt und den relevanten Adressen nicht die leiseste Ahnung. Pünktlich, ja, freundlich, ja, sehr bemüht, auch das – aber wenig wendig. Bestätigt wurde ich in meiner Einschätzung gestern Mittag von Kollegen, die es nach einem gemeinsamen Termin vorzogen, in den Wagen ihres eigenen Fahrers zu wechseln statt weiter mit meinem Neuling Schnitzeljagd zu spielen. Und dazu muß man sagen: auch deren Fahrer ist nicht gerade ein leuchtender Stern am Himmel seiner Zunft, sondern eher mißmutig und etwas schwer von Begriff.
Ich habe längst begriffen, daß deutsche Vorstellungen von effizientem Verhalten, sinnvollem Zeitmanagement und einem Minimum an Planung hier nicht realistisch sind und man mit derartigen Wünschen vor die Wand läuft in einem Land, in dem Zeit und Aufwand anders bewertet werden. Aber ein Fahrer, der sich nicht auskennt, ist eine unendliche Pein. Ich habe Samstag einen Termin außerhalb der Stadt im Umland, habe nächste Woche diverse Termine an Orten und in Gebäuden, die ich nicht kenne, und ich war es irgendwann leid, immer zehn Minuten extra einplanen zu müssen, um meinem Fahrer Gelegenheit zu geben, vor Fahrtantritt Erkundigungen bei Kollegen für die ersten zwei Drittel der Strecke einzuholen und sich für das letzte Drittel bei Passanten durchfragen zu können. Hatte ich bis dahin noch gezögert, gab mir die spitze Anmerkung eines Kollegen, die Mietwagenfirma werde mehr als großzügig bezahlt und habe doch wohl die Pflicht, angemessen versierte und ortskundige Fahrer zu stellen, den Rest. Schweren Herzens und nicht ganz reinen Gewissens bat ich unseren Rezeptionisten, einen neuen Fahrer anzufordern. Ich habe meine Gründe ausführlich dargelegt, ich stand beim Gespräch mit der Mietwagenfirma daneben und habe dafür gesorgt, daß meine Zufriedenheit (abgesehen von der völligen Ortsunkenntnis) deutlich wurde, aber ich fühlte mich dennoch schlecht. Danach hatte ich nur noch kurz Gelegenheit, mit N. am Telefon zu sprechen, weil die Kollegen ihn ausgeliehen hatten und zu meiner Schande muß ich gestehen: ich hatte nicht den Mut, am Telefon die Karten auf den Tisch zu legen. Ich habe mich um die unangenehme Wahrheit gedrückt. Dafür bekam ich fairerweise gestern Abend die Rechnung in Form eines anklagenden Anrufs nach Feierabend, und hatte danach ein noch schlechteres Gewissen. Ich hätte es vielleicht der Anständigkeit halber mit N. selbst besprechen sollen – andererseits: was hätte es geändert? Ich hätte ihn bitten können, mich zukünftig am Eingang abzuholen statt hundert Meter über Schotterstraßen laufen zu lassen, ich hätte ihm erklären können, nicht den simpelsten sondern den schnellsten Weg zu nehmen, aber Ortskenntnis hätte ich ihm sicherlich nicht übers Wochenende beibringen können.
Ich befürchte, daß meine Sorge, ihn in Schwierigkeiten zu bringen, berechtigt war, ich schäme mich für den mangelnden Anstand, ihm meine Kritik direkt mitzuteilen und ich habe ein schlechtes Gewissen wegen alldem. Trotzdem bin ich froh, am Samstag nicht auf jemandem angewiesen zu sein, der so wenig mitdenkt und immerhin: das schlechte Gewissen trieb mich ins Wasser, und dort wurde mir der erste Freibad-Flirt meines Lebens zuteil, wenn auch nur kurz und folgenlos. Dieses Land ist wirklich immer für eine Überraschung gut.
[Edit:
Ich schäme mich immer noch. Wegen der Fahrer-Geschichte. Frau Arboretum hat natürlich recht: ich hätte es versuchen können und sollen. Ich habe allerlei gute Entschuldigungen für meine Entscheidung, um einen anderen Fahrer zu bitten: meine Arbeit ist kompliziert und bestenfalls eine Herausforderung (schlimmstenfalls eine Überforderung), ich selbst kenne die Stadt nicht und Verständnis für den Fahrer und seine Orientierungslosigkeit kostet Zeit, mein Arbeitgeber bezahlt für eine Dienstleistung, es ist nicht meine Aufgabe, Fahrer auszubilden oder als Versuchskaninchen zu fungieren, Kinshasa ist selbst unter den besten Umständen ein Abenteuer und ein guter, versierter Fahrer bedeutet zusätzliche Sicherheit in einem unberechenbaren Land. Das alles hat zu meiner Entscheidung beigetragen, aber ich fürchte fast, der Hauptgrund war ein anderer: ich war es leid. Und ich konnte es machen. Selbst mit den wirklich erfahrenen Fahrern ist es mühsam, komplexere Vorgänge als A nach B Strecken zu erklären. Nicht, weil sie dumm wären, sondern weil sie anders denken. Überlegungen wie: wen hole ich zuerst ab, welche Strecke ist praktisch, wie schiebe ich einen Einkauf dazwischen, wie koordiniere ich verschiedene Kollegen und Termine mit einem Fahrer, sind ihnen einfach fremd und man muß sorgfältig seine Planung erklären. Zeit ist hier noch kein Geld. Das ist in jedem Fall anstrengend und war mit N. noch viel anstrengender und ich war die Sorgen und Erklärungen und Verständnisprobleme leid. Es ist leicht, solche Entscheidungen hier durchzudrücken, man gewöhnt sich unglaublich schnell an die Position der Stärke, in der man hier zwangsläufig steht – es kostet nur einen Anruf, natürlich haben alle Kollegen Verständnis – ja, mich geradezu motiviert – und natürlich bekommt ein guter Kunde wie mein Arbeitgeber einen neuen Fahrer, wenn er das wünscht.
Jetzt fühle ich mich erbärmlich. Ich bin doch hier, weil ich glaube, daß meine Arbeit vielleicht ein kleines bißchen dazu beitragen kann, das Leben hier etwas erträglicher zu machen – und bin an meinen eigenen Ansprüchen viel schneller als erwartet kläglich gescheitert. Ich finde durchaus, daß man klein anfangen sollte und in diesem Fall hätte ich mehr darüber nachdenken sollen, welche Konsequenzen mein Handeln hat und weniger an mich denken sollen. Ich bin selbst überrascht, wie schnell man gedankenlos wird und sich korrumpieren läßt vom eigenen Wohlbefinden. Das war wahrhaftig keine moralische Glanzleistung, aber hoffentlich werde ich beim nächsten Mal mehr nachdenken und mich nicht wieder so schäbig verhalten.]
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