Mittwoch, 14. Oktober 2009
Skurrilitätenkabinett
Aus mir völlig unbegreiflichen Gründen wurde mir eine gewissen Wankelmütigkeit in der Verteilung meiner romantischen Hoffnungen unterstellt. Natürlich ist alles ganz anders als Sie denken. Mehr als jedes andere Land, in dem ich jemals war, zieht die DR Kongo spannende Menschen an wie ein Magnet. Mein Kollege mit den möglicherweise nicht rein kollegialen Interessen zum Beispiel hat Frau und Kinder in den USA, lebt aber seit mehreren Jahren alleine im Ausland und führt eine Ehe auf Distanz. Beim Mittagessen neulich sprach er ausführlich darüber, daß man Arrangements finden müsse, daß ihm die Vertrauensperson an seiner Seite natürlich fehle, auch die körperliche Nähe – dies mit bedeutsamen Blicken garniert – und man sich aber doch irgendwie einrichten könne. Eine andere Bekannte hat einige Jahre mit ihrem Mann zusammen am selben Ort in Afrika gearbeitet, im Moment hingegen ist sie hier und er hat eine Stelle in Kanada – da muß man Ferien und Konferenzbesuche geschickt legen und sich arrangieren. Dann wäre da der schön Franzose Nummer Zwei, der in dem gottverlorenen Kaff vor der Stadt sitzt, wo ihn sicherlich keine Partnerin, die noch bei Sinnen ist, jemals freiwillig hinbegleiten würde. Abgesehen von den Lebensentwürfen sind die Menschen aber überhaupt einen Tick skurriler als in Frankfurt oder Washington.
Der schöne Franzose Nummer Eins zum Beispiel ist eine entsetzliche Diva, eigentlich völlig ungeeignet für das Leben in Entwicklungsländern. Andauernd fummelt er an seinem Mückenrepellent herum, stets und überall führt er kleine Fläschchen mit Hand Sanitizer mit sich herum (und deponiert diese bevorzugt in meiner Handtasche), und klagt andauernd über die mangelnde Infrastruktur, das drittklassige Hotel, und die anstrengenden Flüge, wenn er nicht von Business auf First Class hochgestuft wurde. Er gibt großzügige Trinkgelder, aber erwartet dafür auch entsprechende Leistungen und rückt kein Jota von seinen europäischen Standards ab – wobei ich ersteres für eine sehr löbliche Eigenschaft halte, die vielen Kollegen im Laufe der Karriere verloren geht.
Mein Chef ist ein weiterer Exzentriker: seine Position ist auf jeden Fall einflußreich, er verkehrt mit den Würdenträgern dieses Landes, eilte gestern direkt vom Flughafen hierher, deponierte sein Gepäck in meinem Büro und gewährte mir im anschließenden Gespräch Aussicht auf einen sicherlich fünf Zentimeter langen Riß in seinem Hemd. Die meisten Chauffeure hier sind gepflegter gekleidet als er es heute war – in fröhlicher Mißachtung des abendlichen Meetings mit einigen der oben erwähnten Würdenträgern.
Ein ganz besonders bemerkenswerter Fall ist mein ältlicher Kollege der letzten zwei Wochen. Anfangs bin ich mit der britischen Distanziertheit gar nicht warm geworden, muß aber zunehmend feststellen, daß er ein sehr netter Mensch ist. In jeglichen Treffen hört er grundsätzlich sich selbst am liebsten reden und hat mir vor einigen Tagen einen von mir organisierten Termin im Zuge eines hostile takeover völlig aus den Händen genommen, sich aber im Nachhinein wortreich entschuldigt und mich ausführlich belehrt, wie ich mich besser durchsetzen könne. Beim Meeting des heutigen Abends erklärte er unserem Team in verschwörerischem Ton, es seien wichtige Personen anwesend und wir müßten unsere Worte sorgsam wählen, um keinen Anstoß zu erregen – fand danach aber selbst überaus deutliche Worte. Seine scheinbar endlosen Monologe durchsetzt er gerne mit d’accord oder okay, allerdings ohne jeden fragenden Unterton, was diese Interjektionen zu einer reinen Formalie deklassiert, durch den Tonfall geradezu Lügen straft. Vor allem nach dem Mittagessen sackt ihm bei Terminen gelegentlich das Kinn auf die Brust, aber schon Minuten später ist er wieder völlig präsent, wirft sich mit Verve in die Diskussion und redet alle Gesprächspartner an die Wand. Der andere ältliche Kollege wiederum bemüht sich außerordentlich, mich auch in Themen anzuleiten, die mit unseren gemeinsamen Aufgaben wenig zu tun haben und bekundete am Wochenende beim Abendessen mit traurigem Hundeblick und väterlicher Ernsthaftigkeit seine Enttäuschung ob meines Zigaretten-Lasters: Damenwahl, I am sincerely disappointed to see you smoke – I wouldn’t have expected that. It is not good for you. Do your parents approve of this?. Gleichzeitig hat er offenbar mit dem jüngeren Kollegen im Team in den letzten Tagen Männerfreundschaft geschlossen, wie aus den vertraulichen Scherzen über den Bauchumfang des jeweils anderen heute zu entnehmen war – obendrein benahmen sich die beiden während des bedeutsamen Meetings abends wie die Schuljungs auf der letzten Bank, schrieben sich gegenseitig Briefchen und tauschten verschwörerische Blicke.

Es sind sonderbare Beziehungen, die sich in einem solchen Land anbahnen. Wirklich enge Freundschaften, wie ich sie zu Hause habe, sind selten – angesichts der hohen Fluktuation in der Gemeinschaft der Expatriates ist einfach nicht genug Zeit, sich wirklich kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen. Es ist ein bißchen wie im Beraterleben: man wird in einer Zwangsgemeinschaft zusammengeworfen und muß sich mit dem arrangieren, was an Sozialleben verfügbar ist. Viele Gespräche nach Feierabend – und hier eben auch am Wochenende, auf Parties, beim gemeinsamen Frühstück – beschäftigen sich vor allem mit dem Arbeitsleben und dem großen gemeinsamen Nenner: dem Aufenthaltsland und seinen Eigenheiten. Obwohl ich anfangs zwei Wochen mit einer Kollegin zusammengewohnt habe, habe wir uns nie über private Themen, Familie, Lebensplanung ausgetauscht. Mit dem schönen Franzosen war ich inzwischen vier Mal zu zweit Essen – das würde unter allen anderen Umständen als den hiesigen definitiv als Beginn einer Romanze qualifizieren, hier jedoch haben wir beim ersten Mal ausschließlich über den Beruf gesprochen. Beim zweiten Mal ganz am Ende kurz über seine Schwester und Mutter und meine Familie und den innerfamiliären Kleiderschrankraub. Gestern Abend wiederum – viertes gemeinsames Dinner – haben wir mit dem Austausch über die Eigenheiten und handarbeitlichen Aktivitäten unser Mütter und Weihnachtsfeiern gewissermaßen das nächste Level genommen. Obwohl ich mit diesen Menschen viel Zeit verbringe, weiß ich: sobald ich abreise, wird der Kontakt einschlafen. Während meiner oder ihrer Abwesenheiten wechsele ich mit den meisten Kollegen kaum eine Mail. In Washington habe ich unglaublich viel Zeit mit einer Gruppe lateinamerikanischer Kollegen verbracht, ganze Wochenenden durchgefeiert, bin immer wieder eingeladen worden, immer wieder haben sie daran gedacht, mich über ihre Aktivitäten nach Feierabend zu informieren und mitzunehmen. Mit zwei Kollegen war ich außerdem sehr regelmäßig nachmittags Kaffee trinken, aber seither habe ich kein Wort von ihnen gehört (außer einer kurzen Meldung, daß bei dem Metro-Unglück vor einigen Monaten niemand von ihnen zu Schaden gekommen sei). Wenn ich bedenke, mit welchem Bemühen im 18. Jahrhundert handschriftliche Briefe geschrieben und mit Kosten und Aufwand befördert wurden, um Beziehungen zu pflegen, finde ich es beklagenswert, wie wenig in meiner Generation dafür getan wird. Obwohl es in Zeiten von Facebook und Skype so einfach wäre, sich gelegentlich nach dem Befinden des anderen zu erkundigen, macht es kaum jemand. Dabei sind doch hundertfünfzig Kontakte bei Facebook wirklich kein Vergleich mit dem Korrespondentenkreis eines Goethe – aber die Zeit, das Bemühen, das aufrichtige Interesse am anderen scheint verloren zu sein. Ich weiß nicht warum.

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