Mittwoch, 28. Oktober 2009
Tag am Meer
[Sonntag - urlaubsmäßig unsortiert] Ich fühle mich, als hätte ich einen Tag Urlaub am Meer verbracht. Mit den Kollegen, die aktuell auf Dienstreise hier sind, werde ich nicht recht warm, der Mitbewohner ist auf Konferenz in Europa und alle anderen Bekanntschaften in Kinshasa hatten schon eigene Pläne, also habe ich das Wochenende – von einem siebenstündigen Abstecher, haha, ins Büro am Samstag abgesehen – zu Hause verbracht. Ich habe anständig gekocht, Wodka-Tonic und Weißwein getrunken, meine Einkäufe erledigt (neunzig US-Dollar für Müsli und Milch, eine Flasche Wein, Schokolade, und allerlei Kleinigkeiten) und auf der Terrasse gesessen. Stundenlang. Es ist faszinierend, wie sich die Aussicht im Laufe des Tages verändert. Am Samstag Abend ein berauschender Sonnenuntergang, den Sonnenaufgang am Sonntag verpaßt und aufgewacht zu strahlend-heißem Sommertag. Über Brazzaville lag noch ein diesiger Schleier, der sich im Laufe des Tages verzog, die riesige Wasserfläche des Flusses schimmerte freundlich, spiegelte das Sommerblau des Himmels wieder. Dazwischen Wattewölkchen über dem Wasser, graue Regenwolken über der Stadt. Ich habe nachmittags Milchkaffee auf Eis gemacht – Eiswürfel, Espresso und die letzten Reste in der Milchtüte ordentlich geschüttelt, bis die Milch dick und schaumig wurde. Ich möchte lieber nicht darüber nachdenken, was das über die Einhaltung der Kühlkette aussagt, wenn H-Milch die Konsistenz von Sahne annimmt – es war aber gut. Ich könnte auch stundenlang einfach nur auf den Fluß schauen und beobachten, wie sich die Sicht immer wieder um Nuancen verändert und ich neue Details entdecken kann, habe allerdings die Gelegenheit genutzt und die Bibliothek meines Mitbewohners geplündert. Ein einziger trauriger Regalmeter, aber immer noch besser als meine zehn Bücher und eine nette Auswahl. Im Schneidersitz vor seinem Regal kauernd, habe ich alle interessanten Titel in meinen Tagesplaner geschrieben (Kaufen nach der Rückkehr nach Deutschland), einen Schmöker, der mir das Geld zum dauerhaften Erwerb nicht wert wäre, aber dem Tag zusätzliches Urlaubsflair verlieh, habe ich gelesen. Zwischendurch habe ich den Geckos zugeschaut, die über die Terrasse huschen, geschäftig hin und her, und plötzlich an der Hauswand hinunter verschwinden. Wenn ich mich bewege bleiben sie völlig erstarrt stehen, nach einigen Sekunden bewegt sich der Kopf ein paar Mal auf und ab, dann flitzen sie weiter. Es gibt kleine graubraune Geckos und größere – ungefähr so lang wie mein Unterarm – in blau mit orangenem Kopf. Gegen fünf kam Sturm auf, heftige Windböen mit ganz viel Staub – so in etwa stelle ich mir einen Sandsturm vor. Danach sehen die Straßen aus wie bei Pulverschnee und Sturm zu Hause im Winter: überall loser Sand, von Reifenspuren durchschnitten. Später zogen graue Wolkenberge langsam vom Hinterland über den Kongo nach Kinshasa, als wäre der Fluß eine Straße, und breiteten eine Decke über die Stadt und der Fluß changierte zu bedrohlichem, düsterem graublau. Über Brazzaville ein schmaler heller Streifen rosa Sonnenuntergang, hält sich tapfer gegen den Einbruch der Dunkelheit, während er langsam schwächer und dunkler wird. Ich kann mich gar nicht mehr auf meine Lektüre konzentrieren sondern schaue immer wieder um die Ecke, staunend und fasziniert.
Um sechs Uhr abends ist der Himmel über Brazza graublau, überm Fluß wird er dunkler und kleine Regenwölkchen schimmern von unten grau-rosa im Sonnenuntergang. Über Kinshasa hingegen leuchtet der Himmel ungefähr dort, wo die Sonne sein sollte, organgelb, die Wolken sind regenschwer und behäbig und hängen dicht über Stadt, mit Ausnahme einer kleinen watteweißen Kuschelwolke, die sich scheinbar verirrt hat. Es donnert schon seit einer Weile und fängt an zu blitzen, während über die Stadt in den Ausläufern von orange-gelb Staubwolken den Horizont braun färben. Zum Flughafen hin ist es schon nacht. Wenn ich aus dem Windschatten der Terrasse heraustrete, riecht es intensiv nach Regen, die Blätter unserer Topfpflanzen rascheln aufgeregt im Wind und die Lichter der Stadt glitzern immer intensiver am Horizont. Zehn Minuten später ist es völlig finster, die Stadt ist ein Lichtermeer und doch nicht, verglichen mit anderen Metropolen. Die Lichter sind so wenige und so dünn, daß der Himmel dunkel bleibt, während anderswo die Wolkendecke von unten leuchten würde. Hier hingegen bekommt Wetterleuchten eine neue Bedeutung. Einzelne Blitze sind man nicht, aber der ganze Himmel strahlte immer wieder auf, als hätte jemand eine Discokugel aufgehängt. Ich fasse nicht, wie schön dieses Land ist und wie aufregend. Meine Worte sind so völlig unzureichend, um dieses Naturschauspiel zu beschreiben, Fotos – hat die Erfahrung gezeigt – helfen auch nicht weiter. Ich wünschte, jemand würde diesen Eindruck mit mir teilen, weil es so überwältigend und großartig ist, die ganze Vielfalt eines Wetterjahres in Deutschland an einem einzigen Himmel in einem einzigen Moment.







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