Congo special edition
Draußen regnet es in Strömen. Kein tropischer Starkregen, aber doch genug, um das Leben auf den Straßen jenseits der Geländewagen weitgehend zum Erliegen zu bringen. Die Menschen sammeln sich unter den wenigen Ständen mit Sonnenschirm und in Hauseingängen, im Cercle Elais bleiben die Sonnenliegen leer und auf der Baustelle gegenüber starren die Arbeiter müßig aus dem Rohbau nach draußen und versuchen nicht einmal mehr, beschäftigt auszusehen. Gerade noch rechtzeitig war ich eben schwimmen und danach schnell im Supermarkt. Auf dem Parkplatz sammelte mich einer der Wächter mit einem riesigen Sonnenschirm ein und geleitete mich bis zum Vordach, während ich über schlierige Pfützen hinwegstieg. Das Wetter paßt zu meiner erschöpften Stimmung und den Kollegen dürfte es nach einer endlosen, hektischen Woche ähnlich gehen. Davon abgesehen wäre am gestrigen weniger Alkohol gut gewesen, mehr Schlaf auch.
Der Höhepunkt der Woche war eine Veranstaltung mit etlichen bedeutenden Ehrengästen und vielen Präsentationen von der Art, bei der sich die 5% der Redner so rasend gerne selbst reden hören, daß sie keinerlei Rücksicht darauf nehmen, daß die übrigen 95 % der zuhörenden Teilnehmer tödlich gelangweilt sind.
Wie immer ging es morgens schon verspätet los. Ich wollte eigentlich vormittags zur Eröffnung gar nicht hingehen, änderte allerdings meine Planung, als der schöne Franzose um halb zehn seinen Aufbruch verkündete. Wir kamen um zehn Uhr an, europäisch pünktlich zum ersten Vortrag nach den für neun Uhr angesetzten Reden der Begrüßungs-Redner – die Veranstaltung hatte jedoch noch nicht einmal begonnen. Die Kollegen verteilten noch Namensschilder und Begrüßungsmappen, während die Teilnehmer in konzentrischen Kreisen um die Kaffeebar herum standen – alles wartete auf die Ehrengäste. Während es normalerweise für eine Veranstaltung sehr schmückend ist, ranghohe Gäste anwesend zu haben, führt dies hier zu unendlichen Problemen. Die Kongolesen sind versessen auf protokollarische und hierarchische Abläufe und lädt man zu viele Ehrengäste ein, verkompliziert sich der Veranstaltungsablauf ungemein aufgrund all ihrer Allüren und Eitelkeiten. Von den fünf oder sechs gleichrangigen Ehrengästen wollte natürlich niemand der erste sein und auf die anderen warten, während unser Chef seine Begleitung für den noch etwas wichtigeren Oberehrengast reservierte – daher also um eine Stunde nach planmäßigem Beginn immer noch aufgelöste Unordnung. Die für solche Veranstaltungen unerläßlichen Fotografen hantierten mit Video- und Fotokameras, lichteten wahllos Teilnehmer ab, während die Techniker mit der Ausrüstung vorne kämpften. Irgendwann defilierten alle bedeutenden Personen gemeinsam herein, zum Schluß der Oberehrengast eskortiert von unserem Chef, wir standen alle auf (das gehört sich hier so, wenn Minister anwesend sind) und dann folgten die unendlich langweiligen Eröffnungsreden. Der Redner war eine Katastrophe, quälte sich stockend von Wort zu Wort, schleuderte dann einige Satzteile hintereinander heraus wie ein stotterndes Maschinengewehr, die Betonungen waren irritierend unpassend – einfach nur schrecklich, ich hatte das Gefühl, er kämpfe gegen die Sprache statt sich ihrer zu bedienen. Falls Sie unsere Politiker im Bundestags auf Phoenix grauenvoll finden, kommen Sie hierher, da tun sich neue Dimensionen von Abgründen auf. Sämtliche Fotografen stürzten bei den ersten Worten nach vorne und gingen vorm Rednertisch auf die Knie, wo sie die gesamten fünfzehn Minuten der Rede verharrten. Aus meiner Perspektive von schräg hinten sahen die Hände auf Gesichtshöhe mit den Kameras aus, als würden sie beten – keine völlig unpassende Assoziation, bedenkt man die Umstände. Erstaunlich gelenkig sprangen sie beim Ende der Rede auf, um keinen Satz des nächsten Redners zu verpassen – ich hätte ja eher erwartet, daß sie nach vorne kippen oder ihnen die Knie wegknicken nach dieser Tortur. Während der schöne Franzose auf der anderen Seite ein Gähnen nur mit Mühe unterdrücken konnte, kam mir ein Termin um elf Uhr zur Hilfe und ich konnte mich guten Gewissens verabschieden. Ähnlich wie bei der deutschen Bahn werden einmal eingefahrene Verspätungen nur selten wieder aufgeholt und als wir uns um eins – zur planmäßigen Mittagspause – bei den Kollegen erkundigten, war die Fragerunde noch lange nicht beendet. Beim Mittagessen wurden fleißig Visitenkarten ausgetauscht, völlig unabhängig davon, ob man die Absicht hat, sich jemals im Leben wiederzutreffen, ich könnte aber jetzt theoretisch einen Angestellten des mittleren Managements der staatlichen Eisenbahn in Lubumbashi anrufen – auf der anderen Seite des Landes, 1.000 km entfernt von mir. Man weiß ja nie. Während der nachmittäglichen Graveyard-Shift hatte ich leider keine guten Ausreden mehr und mußte außerdem fünf endlose Stunden lang auf Französisch Protokolle schreiben. Vor mir faltete einer der Teilnehmer eine durchaus großformatige Zeitung aus und begann zu lesen, teilte diese später großzügig mit seinem Sitznachbarn, alle paar Minuten klingelte irgendein Handy. Neben dem typischen Nokia-Bimmel ist vor allem der Klingelton Destiny unglaublich beliebt – ich kann ihn inzwischen kaum noch ertragen. Es ist gesellschaftlich völlig akzeptiert, für Telefonate kurz vor die Tür zu gehen und viele führen Gespräche in der Konferenz. Dazu kauern sie sich nach vorne zusammen wie im Flugzeug bei der Notwasserung, halten das Handy ganz nahe an den Mund und die Hand davor, was in etwa so aussieht, wie ungezogene Leute, die Zahnstocher bei Tisch benutzen und ihre Mitmenschen mit unerfreulichen Anblicken belästigen. Unerfreulich finde ich auch die Telefonate, denn oft genug hört man in den Rednerpausen Gesprächsfetzen und überhaupt finde ich es unerträglich unhöflich. Aufgrund der Verspätung wurde die Kaffeepause – mein Highlight des Tages – ersatzlos gestrichen, trotzdem zog sich die Veranstaltung bis kurz vor sieben hin und schon um acht waren wir alle bei unserem Chef zur Party zum Empfang eingeladen.

Eine zehnköpfige Band, die stets großzügig bestückte Bar und das wie immer hervorragende Buffet machen diese Veranstaltungen zu einer erträglichen Pflichtübung, leider war ich viel zu müde von der Woche, um mich mit der erforderlichen Verve ins Networking zu stürzen. Nach dem Essen schoben mich meine Kollegen einem unserer Chefs geradezu in die Arme - He’s is XYZ Manager, very important, you should talk to him, der mich wiederum umgehend in den Kreis der Tanzenden zog, wo ich einige Minuten lang orientierungslos herumstolperte, bis er sich einem anderen Kollegen zuwandte und ich den Rückzug antreten konnte. Noch vor dem Essen hatte sich mein ältlicher Teamleiter mit einer für ihre Tanzfreude berüchtigten kongolesischen Kollegin im Paartanz versucht und war nach dem Essen erst recht nicht mehr zu bremsen, während ich mich von einer langweiligen Unterhaltung mit einem unglaublich steifen Madegassen mit Hilfe des Dessertbuffets abzulenken versuchte. Bei der Verteilung diverse Geschenke an ausscheidende Kollege flüsterte ich mit dem neu eingetroffenen verrückten J. in den hinteren Reihen und brachte in Erfahrung, daß die Fortsetzung des Abends in kleiner Gruppe mit meiner ehemaligen Betreuerin im Black and White geplant sei. Dort zu fortgeschrittener Stunde außerdem angetroffen: ein scheidender französischer Kollege Mitte dreißig, mein ehemaliger Oberchef Ende dreißig (den ich zum ersten Mal persönlich getroffen habe), ein belgischer Kollege nahe dem Alter meines Vaters, außerdem ein typischer Ami fortgeschrittenen Alters in Begleitung einer jungen, hübschen – und netten – Kongolesin. Der Ober brachte Caipirinha – in Toilettenpapier eingewickelt! – und viel Cola-Rum. Dabei erhält man ein gut zur Hälfte gefülltes Glas Rum auf Eis und eine Flasche Cola separat, die perfekte Vorlage für strategisches Betrunkenwerden. Das, nachdem ich auf der Party schon mit einer Kollegin gemeinsam die Flasche Martini an der Bar geleert hatte, um meinen Geist von den Blödsinnsreden des Tages freizuspülen. Der verrückte J. wurde allen Erwartungen an absurdes Verhalten gerecht, nachdem wir reihum die Tätowierung unter dem leichten Pullover auf seinem nackten, knochigen Oberkörper inspiziert hatten, stürzte er sich auf die Tanzfläche und knüpfte nahtlos an die Suche nach der Femme de sa vie seines letzten Aufenthalts an, während die Kollegen mir verschwörerisch anvertrauten, vor ihm müsse man sich in Acht nehmen. Nach Mitternacht wechselten wir die Lokalität und fuhren ins Standing, une boîte techno. Erfreulicherweise ist dieses Land auch in Sachen Musik etwas rückständig, was hier als Techno firmiert, wäre in Deutschland Hitparaden Musik, dazwischen auch immer wieder kongolesische Lieder – also entgegen meinen Befürchtungen durchaus erträglich. Während sich die männlichen Kollegen – inklusive dessen, der mein Vater sein könnte – auf die Tanzfläche und die aufreizend gekleideten kongolesischen Damen stürzten und fleißig mit den Hüften wackelten, fragte ich meine ex-Betreuerin, ob ein gewisses Maß an Wahnsinn eigentlich Einstellungsvoraussetzung bei meinem Arbeitgeber sei, woraufhin sie meinte: This is the Congo special edition.

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schusch, Montag, 19. Oktober 2009, 23:24
Clubbing. Auch so ein Ding.

Überall wo ich hinkomme, will ich erstens zum Fußball und zweitens in einen Club gehen, einen Club, in denen es die "echte" Musik vor Ort spielt. Ich habe da einen gewissen kulturanthropologischen Forscherdrang, "So midde unner die Leut", wie man in meinen Gefilden so sagt.

Gibt es eine echte kongolesische Musik und kann man dahin gehen, so was wie Ragga in Jamaika, Techno in Detriot, irgendwas brandneues, noch nie dagewesenes in NYC? Und ich als Bleichgesicht?

Der Disco-Abend im Grand-Hotel ist das letzte, wo ich hin möchte.

Geht da was?

damenwahl, Dienstag, 20. Oktober 2009, 19:57
Natürlich gibt es kongolesische Musik. Es gibt sogar Menschen die behaupten, kongolesische Musik sei eines der zukünftigen Exportprodukte, weil sie eigen ist und überhaupt in Afrika sehr beliebt.
Zum Beispiel: Papa Mwemba (Clips im Internet). Die entsprechenden Clubs gibt es natürlich auch, Chez N'Temba ist nett, La Crèche soll auch gut sein, oder man stürzt sich in den quartiers populaires ins Getümmel. Das allerdings besser in lokaler Begleitung.