Samstag, 3. Oktober 2009
Geschäftswelt
Das erste Wochenende im Kongo. Die halbe Woche Arbeit war anstrengend, vor allem weil ich mit meinen Kollegen kämpfe. Die Aufgaben in meinem Vertrag sind entsetzlich unklar formuliert und es ist schwer für mich, festzustellen, bei welchen Meetings ich mitgehen sollte und wo es sich nicht lohnt. Nachdem ich deutlich gemacht habe, daß nicht alle Treffen für mich relevant sind, bin ich leider auch nicht mehr so eingebunden wie anfangs und werde noch weniger über Pläne informiert. Ich bin gerade halb so alt wie die Kollegen und ganz sicher nicht in jeder Hinsicht gleichberechtigter Partner, und das Informationsdefizit macht es mir doppelt schwer, mich auf Gespräche vernünftig vorzubreiten. Gleichzeitig geben die vielen Termine in Unternehmen und Behörden unglaublich spannende Einblicke in die kongolesische Wirtschaftswelt. Die runden kleinen Metalldinger im Konferenztisch von Mittwoch sind vermutlich Aussparungen für Mikrofone und Kabel, nur ohne Mikrofone und Kabel – so technisch fortgeschritten sind wir hier dann doch nicht. Dies eine Erkenntnis von Freitag Morgen und einer weiteren Begegnung mit dem gleichen Modell von Konferenztisch. Vielleicht gab es Mengenrabatt für einen Großeinkauf mehrerer Behörden. Das Treffen mit dem Chef einer Behörde fand im siebten Obergeschoß des Gebäudes statt, Aufzug defekt. Sport am Morgen. Die oberste Etage war sehr hübsch mit rotem Plüschteppich dekoriert, im Büro selbst standen scheußliche, bunt-marmorierte Vasen mit Metallic-Glitzerapplikationen herum, wie ich sie selbst als fünzehnjähriger Teenager in meiner Rosa-Phase nicht aufgestellt hätte. Nach über einer Stunde wurden Erfrischungen serviert, vorwiegend kleine Tetra-Paks mit Strohhalm, an denen wir dann die folgende Stunde nuckelten. Während der Generaldirektor in seinem Büro-Fauteuil mehr hing als saß, eröffnete sein Assistent jede Aussage mit der Phrase Avec la permission de l’ADG.... (Administrateur Directeur Général). Falls Sie dachten, die Wiener wären titelgeil, kommen Sie in den Kongo, hier sind Titel das Alpha und Omega der wirtschaftsgesellschaftlichen Etikette.
Der nächste Termin führte uns zum – mutmaßlich belgischen – Chef eines französischen Unternehmens und in das bislang eleganteste Büro meines hiesigen Erfahrungshorizonts. Der Boden war ausnahmsweise nicht gefliest sonder mit wunderschönem, dunklem Echtholzparkett ausgelegt, die geschmackvollen Möbel schön arrangiert in einem Büro von der Größe einer geräumigen Zweizimmerwohnung in Frankfurt. Ein langer Konferenztisch, bequeme Sofas, ein monströser Schreibtisch, dahinter die kongolesische Flagge und auf einem riesigen Sideboard zwei kleine französische Flaggen. Auf den Fensterbrettern standen afrikanische Holzstatuetten, ein ziemlich großes Modell einer Windjammer, ein Elfenbeinelefant, während die gegenüberliegenden Wand mit Fotos von auftauchenden U-Booten dekoriert war. Es gab Kaffee aus einer richtigen Espressomaschine, Wasser aus Pappbechern und für den Hausherrn nach gut einer Stunde Zigaretten. Gerne hätte ich mich angeschlossen, habe es allerdings nicht gewagt. Das gesamte Büro strahlte üppigen, kolonialen Charme aus und der Hausherr paßte perfekt dazu. Professionell, dabei sehr entspannt und zu Hause in seiner Rolle. Durchaus kompetent, aber für die technischen Einzelheiten war ganz offensichtlich sein kongolesischer Stellvertreter verantwortlich.

Bei den kongolesischen Geschäftsleuten gibt es – soweit ich das beurteilen kann – drei Typen: die Oberchefs stehen in Kleidung und Auftreten ihren europäischen Pendants in nichts nach: teure, gutsitzende Anzüge, gepflegtes, klassisches Schuhwerk, allenfalls die Uhr fällt häufig etwas rolexiger, klotziger und goldener aus als beim Gentleman in der City. Aufstrebende, zukünftige Verantwortungsträger haben sich diesem Status oft schon weitgehend angenähert, allerdings sind häufig die Schuhe spitzer und extravaganter als notwendig (gestern zum Beispiel im Budapester-Stil, in schwarz mit dunkelgrauem Blatt und einer Spitze, die waffentauglich gewesen wäre) und die Zurückhaltung beim Schmuck ist weniger ausgeprägt. Daran sieht man sofort, ob jemand sich an der traditionellen afrikanischen Elite orientiert oder der europäischen Geschäftswelt: ganz besonders viele Behördenmitarbeiter mit guten Verbindungen und vermutlich langjähriger Karriere erfüllen oftmals jedes vorstellbare Klischee und sind mit Goldschmuck üppiger behängt als die russische Oligarchengattin. Herren der jüngeren Generation haben oft ein ausgeprägte Faible für buntgestreifte Hemden, Typ Investmentbanker in smart casual mit dunklem Jackett und Jeans. Dumm nur, wenn von den silber-blinkenden Knöpfen der mittlere fehlt. Unteres Management wiederum sieht genauso aus wie unteres Management zu Hause: schlecht sitzende Anzüge, lachsfarbene Kurzarmhemden und zu sportliche Schuhe. Geht gar nicht. Eine Besonderheit sind die weitverbreiteten Herrenanzüge mit Kurzarm, die mir zuerst in Tunis begegnet sind. Ja, Sie lesen richtig, man sieht hier oft Herren in Anzügen, bei denen das Jackett nur halbe oder sogar kurze Ärmel hat, dann allerdings nur mit einem dünnen T-Shirt oder Unterhemd drunter. Ich nehme an hoffe, daß diese besondere Scheußlichkeit dem Klima zuzuschreiben ist. Und um mich von diskriminatorischen Vorwürfen reinzuwaschen: Kurzarmhemden in deutschen Büros finde ich gleichermaßen unmöglich. Wenn schon, diskriminiere ich alle.

Die guten Neuigkeiten: ich habe jetzt dank UMTS Internet auch zu Hause. Unglaublich aber wahr, beide großen Telefongesellschaften – mobil, versteht sich, Festnetz gibt es nicht, soweit ich weiß – bieten Daten-Sim-Karten an und die funktionieren sogar. Ich war am Donnerstag Nachmittag in der Hauptniederlassung des Anbieters meiner Wahl, pinkes Logo aber sonst ganz anders als der heimische Telekommunikations-Platzhirsch. Die Filiale hatte die Ausmaße und den dekorativen Charme einer Lagerhalle. Links hinter einer Glaswand zehn Schreibtische zur individuellen Kundenbetreuung, in der Mitte ein Informationsschalter, dahinter mit einem Drehkreuz abgetrennt ein weiterer Schalter, zur rechten dann eine Wartehalle und dahinter ein unverhältnismäßig kleiner Teil, in dem Telefone verkauft wurden. Lohnt sich vermutlich nicht, da man an jeder Straßenecke bei fliegenden Händlern billige Telefone der Freunde aus Fernost günstig erwerben kann. Ich stand einen Moment verloren in der Mitte, um mich herum viel Gewusel und wartenden Kunden, eine lange Schlange am zentralen Schalter. Dort reihte ich mich ein, als auch schon ein junger Mann in Zivil – ohne corporate-identity-pinke Kleidung oder Hundemarke – mir zur Hilfe eilte. Ich trug meinen Wunsch vor, er lotste mich umgehend in den Glaskasten nebenan – ein Schelm wer Böses dabei denkt, daß etliche kongolesische Kunden vor mir weiter in der Schlange warteten. Erneut erklärte ich mein Anliegen, der junge Mann half mir, Sim-Karte und Aufladung zu erwerben, freute sich ungemein, mit mir Deutsch sprechen zu können – Schulkenntnisse, aber gute! – und tauschte auch gleich Telefonnummern mit mir aus. Ich nehme an, ich habe schon wieder ein Blind Date in der Warteschleife. Ich bin jedenfalls geradezu begeistert, daß UMTS hier tatsächlich funktioniert, wieder ein Stück Freiheit gewonnen, weil ich nun wochenends nicht mehr um jeden Preis ins Büro muß, um Internetzugang zu haben.

Jetzt sitze ich auf meiner Terrasse, warte wie ein braves Hausmütterchen auf meinen Mitbewohner, der heute wiederkommt, allerdings leider Schlüssel und Telefon verloren hat und genieße die Sonne. Die Sicht bis Brazzaville war noch nie so klar, zum ersten Mal erkenne ich, daß gegenüber gleich zwei Inseln im Fluß liegen. Es ist so warm, daß jede Bewegung zu Anstrengung wird – und das sei erst der Anfang, so sagt man mir – aber das Sonnenlicht ist mild und nicht so gleißend wie in Tunis. Die Blätter der Topfpflanzen rascheln leise im Wind (die achte Etage ist ein Segen, auch wenn ich vorhin wegen Aufzugausfall zu Fuß hochlaufen mußte), gegenüber auf der Baustelle kreischt eine Säge. Ich hoffe, daß sie es bei sechs Etagen Neubau belassen, sonst leidet unsere Aussicht ernsthaft. Unten auf den Tennisplätzen fliegt der Ball mit einem leisen Plopp hin und her und manchmal hört man auf der Straße einen Sandwichverkäufer. Die tragen auf ihren Köpfe Bottiche herum mit Baguettes ordentlich strahlenförmig rundherum angeordnet, in der Mitte Wurst und Käse oder Erdnußpaste. In der Hand tragen sie ein Messer und mit dem klopfen sie rhythmisch gegen den Bottich, so daß alle wissen: hier kommt ein Brotverkäufer. Wenn es irgendein Geräusch gibt, das für mich typisch Kongo ist, dann dieses. Allgegenwärtig, von früh morgens bis spät abends, verschwindend leise in der Kakophonie von Straßenlärm, Baustellen und afrikanischem Alltag Samstag, aber doch ganz eigen.

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